Dunkle Reise
was ich meinte. Und ich sagte dir, dass Grames dich nur ausnutzt, und so ist es auch.« Ich hob meinen Blick zu dem kleinen Mann, der schlaff vor uns im Sattel saß. »Er hat dein Talent als sein eigenes ausgegeben«, fügte ich hinzu.
Sie hatte einen letzten Einwand zu machen. »Du weißt, dass die Menschen das Dunkel nicht mögen. Vielleicht hat er mir nur das Risiko abnehmen wollen.«
Ich schnaubte. »Barras und Nathan sind das wirkliche Dunkel, und sie fühlen sich dabei überaus wohl. Grames lief keine Gefahr, gegen ihre Moralvorstellungen zu verstoßen – sie haben keine. Er nahm bloß das Verdienst für sich in Anspruch, genoss den Einfluss und steckte das Geld ein. Und so würde er es heute noch machen, wenn seine Lügen ihn nicht zu Fall gebracht hätten.«
Sie antwortete nicht, ging aber mit mir weiter, und ihr Kopf blieb an meiner Schulter. Ich wollte nicht noch etwas sagen, was ihr Anlass geben könnte, ihn wegzunehmen, also blieb ich danach still. Wie in einem Traum wanderten wir durch die Nacht.
Bei Sonnenaufgang hatten wir eine Stelle erreicht, wo der Bach in einer Talverengung über mehrere Stromschnellen rauschte. Bisher war er zwischen den niedrigen Höhenzügen genau nach Süden geflossen, ohne mehr als einen oder zwei Punkte abzuweichen, aber nach Westen zu schien das Gelände wieder anzusteigen und würde den Bach bald ostwärts zum Einzugsgebiet des Wydem abdrängen, in den er schließlich mündete. Wir waren gut vorangekommen, aber inzwischen war es auch heller Tag, und dies schien ein guter Rastplatz zu sein. Innerhalb weniger Schritte vom Ufer gab es ausreichend ebenen Raum, wo wir die Deckenrollen ausbreiten konnten, und es gab genug saftige Weide für die Pferde. Das Wasser strömte rasch über die niedrigen, glatten Felsstufen der Stromschnellen. Obwohl zu beiden Seiten steinige Anhöhen nahe herantraten, schätzten wir das Risiko einer Überschwemmung gering ein, weil das Bachbett tief eingeschnitten war. Und das war auch gut so, denn der Westhimmel sah unheilverkündend aus.
»Bald gibt’s Regen. Gut«, sagte Silvus. Er pflockte das Pferd an und nahm ihm Sattel und Packtaschen ab.
Grames fiel mehr oder weniger herunter, dann stand er gebeugt da und massierte sich das Hinterteil. »Wir werden nass«, klagte er.
Silvus musterte ihn ohne Mitgefühl. »Das geschieht oft, wenn es regnet. Aber der Regen wird unsere Fährte auslöschen, und auch unsere Gerüche, wenn sie daran denken, Spürhunde einzusetzen.« Grames wankte eilig davon. »Wenn Sie ein Geschäft verrichten müssen, gehen sie stromabwärts.«
Ich sah ihn davonhumpeln. Gegen meinen eigenen Willen konnte ich seine Schmerzen nachfühlen, hatte ich sie doch selbst verspürt.
Unter dem Material, das uns zugefallen war, befand sich eine Zeltbahn aus Öltuch. Mit ein paar Stützen aus abgestorbenen Zweigen und einer Seillänge konnte man eine Art Zelt daraus machen. Grames konnte es bewohnen, denn die Soldaten hatten keine wasserdichten Umhänge und ebensolches Bettzeug gehabt.
»Brauchen wir eine Wache?«, fragte ich Silvus.
»Hat keinen Sinn«, meinte er. »Wir brauchen den Schlaf. Die Pferde werden uns früh genug warnen, falls sich etwas oder jemand nähern sollte. Wir pflocken sie dort im Schutz der Sträucher an, wo man sie nicht sieht. Grünfutter gibt es genug, und wir geben ihnen etwas Hafer vom Vorrat. Wenn wir unter diesem Tarnstoff bleiben, wird eine Patrouille, die das Pech hat, hier vorbeizukommen, uns nicht sehen, bis sie auf uns tritt.«
»Das Pech!« Das gefiel mir. »Was ist mit Grames?«
Silvus blickte stirnrunzelnd bachabwärts. »Was soll mit ihm sein? Wir könnten hoffen, dass er vom Pferd fallen und sich den Hals brechen wird, wie dieser arme Bursche, den wir töteten. Ich sehe ihn nicht mit einem Messer an uns heranschleichen. Dazu ist er nicht imstande. Außerdem hat er keins.«
Ich sah Silvus an.
Er seufzte. »Natürlich habe ich ihn durchsucht. Er sagt, er habe ein Pferd gestohlen, aber gestern früh sei es ihm lahm geworden, und er habe es zurücklassen müssen. Er hat seine Kleider, eine volle Wasserflasche und seine Geldbörse. Die ist bloß ein weicher Beutel ohne Geheimfächer. Er dachte, ich wollte ihn berauben, als ich den Beutel aufmachte und die Münzen zählte.«
»Warum hast du das getan?«
»Um zu wissen, wie viel er hat, natürlich. Ich sagte ihm, ich würde es jeden Abend nachzählen, und falls etwas fehlen sollte…«
»Werden wir wissen, dass er unsere Fährte markiert
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