Dunkle Verlockung (German Edition)
Großmutter für sie eingelassen hatte.
Kurz darauf klopfte es leise an die Tür.
»Komm rein, Popo .«
Ihre Großmutter trat ein. Obwohl sie so klein war und die vielen Runzeln in ihrem Gesicht beredt Zeugnis von einem erfüllten Leben ablegten, ging Rias Großmutter mit festem Schritt und hatte einen kristallklaren Blick. Miaoling Olivier trug noch einen ganzen Haufen Jahrzehnte in sich, wie sie gern zu sagen pflegte. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel in eben dem Moment, als Rias Vater in der Küche losbrüllte.
»Geht das schon wieder los«, sagte Miaoling und verdrehte die Augen. »Manchmal glaube ich fast, wir hätten aus Versehen die Insassen einer Irrenanstalt ins Haus gebeten.«
Rias Lippen zuckten und in ihren Augen standen Tränen. »Sie sind bloß wütend und haben Angst um mich.«
»Schlaues Mädchen.« Rias Großmutter zog eine der ramponierten Hände an die Lippen. Sie küsste sie sehr sanft und liebevoll. Ria fühlte, wie etwas tief in ihr heilte. »Ich liebe dich, Popo. «
»Weiß du eigentlich, dass du die Einzige bist, die mich so nennt?«, fragte Miaoling. »Ken und Jet sagen beide Nana.«
»Darum bin ich ja auch dein Liebling und nicht sie.«
»Schsch.« Miaoling zwinkerte und legte Rias Hand zurück auf den Wannenrand. »Hast du dich schon bei dem jungen Mann bedankt, der dich gefunden hat? Vielleicht solltest du einen Kuchen für ihn backen.«
Ria musste grinsen. »Kein Interesse«, informierte sie ihre Großmutter, die stets aufs Neue Hoffnung hegte. »Er ist ein wenig zu hübsch für meinen Geschmack.« Der blonde Leopard war sicher ein gut ausgebildetes Mitglied des Rudels, aber so rank und schlank, dass er mehr einem jugendlichen Surfer als einem erwachsenen Mann glich. Emmett hingegen …
Ihre Großmutter seufzte. »Wenn du so weitermachst, verschrumpeln deine weiblichen Körperteile noch.«
Ria schnaubte lachend. » Popo !«
»Was denn? Ist nur die Wahrheit.« Miaoling wechselte vom perfekten Harvard-Englisch zu einem Slang, den sie nur benutzte, wenn sie mit jemandem sehr vertraut war. »In deinem Alter hatte ich deine Mutter schon im Ofen.«
»Die Zeiten haben sich geändert – und ich bin auch erst zweiundzwanzig, wohl kaum eine verschrumpelte alte Jungfer.« Ria lehnte den Kopf an die Wand. »Erzähl mir, wie du Großvater kennengelernt hast.«
»Warum? Das weißt du doch schon.«
»Bitte.« Es war eine tröstliche Geschichte, und Ria konnte Trost wahrlich gut brauchen.
»Na gut, für meine Riri.« Großmutter holte tief Luft. »Ich lebte damals auf einem Hof in der Provinz Henan, und meine Familie versuchte händeringend, eine Heirat für mich zu arrangieren. Aber, ai, ich war ein kleiner Teufel. Ich wollte keinen der Jungen, die sie anschleppten – zu dünn, zu fett, zu dumm, zu nah an Mutters Rockschößen.«
»Und das haben sie dir durchgehen lassen?«
»Ich war erstes Mädchen nach drei Jungen. War verwöhnt.« Ein stolzes Lächeln. »Ein Tag mein Vater kommt und sagt: Miaoling, du heute schön machen. Doktor aus Amerika kommt und sieht nach Augen von Alten.«
»Grauer Star.«
»Ja. Mein Vater sagt, vielleicht will verrückte amerikanische Doktor ja verrücktes chinesisches Weib, das auf niemanden hört. Natürlich ich sofort beschlossen, nix mögen Amerikaner.«
Ria kicherte, die Geschichte zog sie noch genauso in ihren Bann wie als Kind.
»Dann Großvater kam zum Essen. Und ich trug braunes Kleid, extra hässlich, und hässliche braune Schuhe.« Rias Großmutter strich ihr übers Haar, von dem sie einst gesagt hatte, es sei wie chinesische Seide, habe aber die satte schokoladenbraune Farbe eines vollkommen an deren Kulturkreises. »Doch Doktor ist schön. Schöne grüne Augen und schönes blond es Haar. Und ist nett. Lacht mich ganzen Abend still an. Merkt genau, was ich mache.«
»Er hat dich aber dennoch gefragt, ob du ihn heiraten willst.«
»Nach einer Woche. Und verrückte Miaoling sagen ja, und wir kommen nach Amerika.«
»So schnell«, sagte Ria kopfschüttelnd. »Hattest du denn keine Angst?«
»Pah, warum Angst? Wenn verliebt, keine Angst. Nur Ungeduld.«
»Sag es nicht, Popo !«
Doch es war schon zu spät. »Ungeduld zu benutzen weibliche Körperteile!«
Emmett verbarg sein Grinsen hinter der Teetasse. Seine Ohren waren leopardenscharf. Er hatte alles gehört, was Rias Großmutter gesagt hatte – und, verdammt und zugenäht, er war schon echt verliebt in die alte Dame! Kein Wunder, dass Rias Großvater die Frau geheiratet
Weitere Kostenlose Bücher