Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
überquerten den Marktplatz und betraten die Brücke. Sejer wollte auf die andere Seite hinüber, zu den alten Stadtteilen mit den kleinen Läden. Sie gingen schnell, damit ihnen nicht kalt wurde. Auf dem höchsten Punkt der Brücke blieben sie stehen. Beugten sich über das Geländer. Wie man es eben auf einer Brücke macht. Man kostet die Freude aus, immer noch am Leben zu sein. Sara sah ihn an. Sein markantes Gesicht, energisch und schön. Vor allem die Augen und die dichten Haare. Sie drückte die Stirn gegen seinen Mantelärmel und starrte in die Wirbel hinunter.
»Bist du müde, Konrad?«
»Ja«, sagte er. »Das kommt vor.«
»Viel zu tun?«
»Wie immer. Und ich wandere schon seit vierhundertvierzigtausend Stunden auf Erden umher.«
»Das ist viel.« Sie keuchte überrascht auf.
»Mhm. Jacob, du weißt. So was macht ihm Spaß. Wenn er sich langweilt, greift er zum Taschenrechner.«
Sara dachte eine Weile über diese schwindelerregende Zahl nach. »Irgendwie«, sagte sie, »muß es schön sein, im Wasser zu sterben.«
»Warum?« fragte er. Er drehte sich nicht um, er starrte nur nach unten und dann nach links, in Richtung des Restaurantschiffes.
»Einfach still liegen und fortgetrieben werden. Und vom Wasser saubergeleckt.«
Saubergeleckt. Vielleicht. Aber das Ertrinken an sich konnte nicht schön sein. Die Augen zusammenkneifen, spüren, wie erst die Augen und dann die Brust zu bersten drohen, ehe man aufquoll, sich dehnte, bis alles im Kopf explodierte. Und dann der Nebel, von dem hatte er gehört. Rot und heiß.
»Denk an all die Menschen, die tot im Wasser liegen«, sagte Sara. »Von denen wir nichts wissen.«
Diese Stadt ist traurig, dachte er, vor allem im Regen. Irgendwie verlassen am Ufer dieses lebhaften Flusses. Aber die Brükken gefielen ihm, wenn er sie so alle gleichzeitig sah, schöne, geschwungene Bogen, umgeben von funkelndem Licht. Er spähte zum Marktplatz hinüber. Plötzlich ließ er Saras Hand los. Sie folgte seinem Blick in Richtung Restaurantschiff.
»Eine Frau!« rief er. »Sie steht auf der Treppe. Bis zu den Knien im Wasser.«
Er ließ den Hund los. Setzte die langen Beine in Bewegung, und sie stürzte hinterher. Sejers Schuhe klapperten über den Asphalt, daß die Leute sich nach ihm umdrehten. Kollberg jagte dahin, sein schwerer Körper wogte hin und her, die Leute wichen zurück, als sie dieses große Tier sahen. Sejer näherte sich dem Ende der Brücke, bog um die Ecke und rannte die Treppe hinunter. Für einen Moment blieb er stehen und schnappte nach Luft. Da lag etwas im Wasser, etwas Festes, Dunkles. Er lief die Treppen weiter, sah das dunkle Etwas auf dem Wasser treiben. Langsam sinken. Eiskaltes Wasser lief in seine Schuhe, aber er achtete nicht darauf; er versuchte, die Richtung auszumachen, in die er springen mußte, um die Frau zu fassen zu bekommen.
Sara rief: »Laß das. Sonst reißt die Strömung dich mit!«
Er drehte sich halb um, dachte, sie hat recht, das schaffe ich nicht, wir werden beide untergehen. Aber ruhig stehen bleiben konnte er nicht. Und der Frau beim Sterben zusehen.
Sara kam die Treppe herunter, packte ihn am Arm und schrie ihn an: »Laß das!«
Sie hat Angst, dachte er verwundert. Dann war der Körper im Wasser verschwunden. Er starrte einem Schaumfetzen hinterher. Sah dessen wütendes Tempo und dachte: Jetzt wäre ich fast ertrunken, genau wie die Frau. Er hob die Hände und hauchte sie an.
»Das war eine Frau«, sagte er leise.
Dann tastete er an seiner Hüfte nach dem Telefon. Kollberg stand kläffend am Ufer. Aus allen Richtungen strömten Menschen herbei. So dazustehen, dachte er, ganz still, und einfach zuzusehen, wie ein Mensch untergeht. Ist das denn möglich?
Der Brand war in der Küche ausgebrochen. Die Kaffeemaschine war seit Stunden eingeschaltet und glühte inzwischen. Die Flammen wurden schnell größer und leckten wütend an den Vorhängen. Bald erreichten sie den roten Stuhl und den Läufer auf dem Boden. Die Hitze flimmerte im Raum, Kunststoff schmolz, Gegenstände fielen zu Boden und trugen den Brand weiter, ins Nebenzimmer, in das Zimmer dahinter. Von draußen waren die Flammen durch die Fenster zu sehen. Ein Fahrradfahrer bemerkte das flackernde Licht. Sieben Minuten später war die Feuerwehr zur Stelle, gefolgt von den Technikern der Kriminalpolizei. Sie kämpften sich ins Haus, durchsuchten sämtliche Räume. Die Kellerluke klaffte wie ein aufgerissener Schlund. Sie schauten hinunter. Wischten sich Schweiß
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