Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
PROLOG
Trugbilder
E thenielle hatte niedrigere Berge gesehen als diese unzutreffend Schwarze Hügel genannten gewaltigen Haufen halbwegs vergrabener Felsblöcke, die mit steilen, gewundenen Wegen überzogen waren. Einige dieser Wege hätten sogar einer Ziege Schwierigkeiten bereitet. Man konnte drei Tage durch von der Dürre ausgetrocknete Wälder und über Wiesen mit braunem Gras reiten, ohne auch nur ein Anzeichen menschlicher Besiedelung zu sehen, um sich dann unvermittelt eine halbe Tagesreise von sieben oder acht kleinen Dörfern entfernt wiederzufinden, die nichts von der Welt wussten. Die Schwarzen Hügel waren für Bauern eine raue Gegend, weitab von den Handelsrouten, und jetzt noch rauer als gewöhnlich. Ein magerer Leopard, der beim Anblick von Menschen hätte fliehen sollen, beobachtete sie von einem steilen Hang aus, keine vierzig Schritte entfernt, während sie mit ihrer bewaffneten Eskorte vorüberritt. Westwärts drehten Geier Unheil verkündend ihre Kreise. Keine Wolke verunstaltete die blutrote Sonne, doch wenn der warme Wind blies, wirbelte er Staubwände auf.
Ethenielle ritt mit fünfzig ihrer besten Männer im Gefolge unbesorgt und gemächlich dahin. Anders als ihre fast legendäre Vorfahrin Surasa hegte sie nicht die Illusion, dass sich das Wetter nach ihren Wünschen richten würde, nur weil sie den Wolkenthron innehatte. Eile mit Weile … Ihre sorgfältig verschlüsselten, gut verwahrten Briefe enthielten genaue Anweisungen über die Marschordnung, um dem Bedürfnis aller Beteiligten zu entsprechen, auf ihrer Reise keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Keine leichte Aufgabe. Einige hatten es für unmöglich gehalten.
Sie dachte stirnrunzelnd darüber nach, dass sie sich glücklich schätzen konnte, so weit gelangt zu sein, ohne jemanden töten zu müssen, indem sie jene kleinen Dörfer gemieden hatte, selbst wenn es zusätzliche Reisetage bedeutete. Die wenigen Ogier- Stedding stellten keinen Grund zur Sorge dar – Ogier kümmerten sich meist wenig darum, was unter Menschen geschah, und in letzter Zeit anscheinend noch weniger als gewöhnlich –, aber die Dörfer … Sie waren zu klein, als dass sich dort Augen-und-Ohren der Weißen Burg aufhielten, oder dieser Bursche, welcher der Wiedergeborene Drache zu sein behauptete – vielleicht war er es; sie konnte nicht entscheiden, was schlimmer wäre –, und doch zogen möglicherweise Händler hindurch, die ebenso viel Gerede mit sich brachten wie Waren und die sich mit Menschen unterhielten, die wiederum mit anderen Menschen sprachen, sodass sich Gerüchte wie ein immer weiter anschwellender Fluss durch die Schwarzen Hügel und in die Außenwelt verbreiteten. Ein einziger Schafhirte, welcher der Aufmerksamkeit entging, konnte mit wenigen Signalen noch fünfhundert Meilen entfernt sichtbare Leuchtfeuer in Gang setzen. Die Art Leuchtfeuer, die Wälder und Wiesen in Flammen aufgehen ließen. Und vielleicht Städte. Nationen.
»Habe ich die richtige Wahl getroffen, Serailla?« Ethenielle grinste, obwohl sie sich über sich selbst ärgerte. Sie war vielleicht kein Mädchen mehr, aber ihre wenigen grauen Haare ließen auf ihre noch unzureichende Erfahrung schließen. Die Entscheidung war getroffen. Sie hatte jedoch daran gedacht. Beim Licht, in Wahrheit war sie keineswegs so unbesorgt, wie sie es gern gewesen wäre.
Ethenielles erste Beraterin brachte ihre graue Stute näher an den glänzend schwarzen Wallach der Königin heran. Mit ihrem Gelassenheit ausstrahlenden runden Gesicht und den nachdenklichen dunklen Augen hätte Lady Serailla eine Bäuerin sein können, die jäh in das Reitgewand einer Adligen gesteckt wurde, aber der Verstand hinter dieser glatten, verschwitzten Stirn war ebenso scharf wie der jeder beliebigen Aes Sedai. »Die zweite Wahlmöglichkeit enthielt lediglich andere Risiken, nicht jedoch geringere«, sagte sie ruhig. Untersetzt und im Sattel dennoch genauso anmutig wie als Tänzerin, war Serailla stets bedächtig. Nicht schmeichlerisch oder unaufrichtig, nur einfach unerschütterlich. »Was auch immer die Wahrheit ist, Majestät – die Weiße Burg ist anscheinend handlungsunfähig und auch zerschlagen. Ihr hättet die Große Fäule beobachten können, während die Welt hinter Euch zerbricht. Das hättet Ihr tun können, wenn Ihr jemand anders wärt.«
Die einfache Notwendigkeit zu handeln. Hatte sie das hierhergebracht? Nun, wenn die Weiße Burg nicht tun wollte oder konnte, was getan werden musste, dann
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