Dunkler Tod: Louise Boní und der Fall Calambert (German Edition)
Gegend. Er kann sich nicht ruhig in eine Ecke setzen und sich um sie kümmern und warten, was passiert, er muss in Bewegung sein, sonst dreht er durch.«
»Der Heli hat ihn gesehen, er muss hier irgendwo sein.«
»Ich weiß«, sagte Louise. »Ich warte im Auto.«
In der abnehmenden Wärme von Lederles Wagen sah sie den Kollegen nach, zehn dunkle Gestalten, die sich lautlos durch den tiefen Schnee mühten und nur langsam vorankamen, einer vornweg, Bermann. Sie hoffte für Annetta, dass er mit seiner Vermutung recht hatte. Rolf Bermann brachte mit seinem Willen und seiner Kraft Dinge in Ordnung, wo die meisten anderen scheiterten.
Sie griff nach der Straßenkarte, die sie vorhin auf den Rücksitz geworfen hatte. Der Weg zu dem Gehöft war eingezeichnet, ebenso die lange Zufahrt von der anderen Seite. Rechts von ihr der schmale Wald, durch den nur Fußgängerwege führten, am nördlichen Rand schlängelte sich eine Forststraße entlang. Einen Versuch war es wert, dachte sie, sie musste ohnehin mal pinkeln.
Sie stieg aus, stapfte durch dreißig Zentimeter hohen Schnee auf die Bäume zu. Schwer atmend öffnete sie die Hose, hockte sich hin. Bermann und die anderen Kollegen waren zu kaum wahrnehmbaren Punkten geschrumpft, die sich nun in größeren Abständen nebeneinander voranbewegten.
Eine Hand in der Anoraktasche, um das Klirren zu verhindern, ging Louise weiter. Sie stieß auf eine Art Pfad, den Tierspuren markierten, Tiere mit Hufen, vielleicht Rehe, sie hatte keine Ahnung. Mick hätte es bestimmt gewusst, unter seinen Geliebten war auch eine Tierarzthelferin gewesen – sie hatte die Beichte abgeschlossen, an der Mittelstation des Skilifts nahe Scuol. Eine in einen weißen Kittel gekleidete, dralle, blöde Schönheit vor Augen, hatte Louise ihm den Skistock gegen die Schläfe geknallt und die Ehe beendet. Doch so einer wie Mick, der Stabilität und ein immerwährendes Wir vorgaukeln konnte, war nicht leicht loszuwerden, nun geisterte er durch ihre Nächte und Träume und Räusche und das zugeschneite Gestrüpp eines Waldes nahe Munzingen.
Als sie ein Geräusch hörte, hielt sie inne. Ein metallisches Klacken, wie sie es tausendfach gehört hatte, trotzdem konnte sie es nicht zuordnen. In ihrem Hirn tosten zusammenhanglos Bilder und Gefühle, ihre Beine schmerzten, ihre Lunge rasselte. Ausgerechnet jetzt schienen die Müdigkeit, die Erschöpfung, die Verzweiflung übermächtig zu werden, dazu die Kälte, die Angst. Immerhin funktionierte der Drill, die rechte Hand hatte automatisch nach der Walther gegriffen.
Endlich kapierte sie: Eine Autotür war zugedrückt worden.
Sie nahm alle Kräfte zusammen und folgte dem Pfad so leise und schnell wie möglich. Da tauchte zwischen den Bäumen ein Schemen auf – ein großer, schmaler Mann, der mit gesenktem Kopf zehn Meter von ihr entfernt dastand. Ein leises Plätschern erklang, dann schaute der Mann auf und bemerkte sie.
Sie hielt die Waffe so, dass er sie sehen konnte, und sagte auf Französisch: »Jetzt keinen Fehler machen, Calambert.«
»Sie lebt«, erwiderte er heiser, »aber es geht ihr nicht gut.«
»Wo ist sie?«
Er deutete mit dem Kopf hinter sich.
Louise sah nur Bäume, sonst nichts, Bäume, die nicht ganz stillhalten wollten. Sie blinzelte. »Im Auto?«
Calambert nickte. »Sie ist nicht gemacht für so was. Diese Dinger wollen wilde Abenteuer, am Ende übernehmen sie sich, und dann ist das Jammern groß.«
»Wie bitte?«
Gähnend zuckte er die Achseln.
»Gehen wir, Arschloch«, sagte Louise und richtete die Waffe auf ihn.
Calambert lachte, hob die Hand, in der plötzlich ebenfalls eine Pistole lag, der Lauf deutete zur Seite. Unschlüssig blickte er darauf, dann schüttelte er den Kopf. »Ich nicht, ich gehe woandershin.« Er richtete die Waffe auf Louise, dann wich er Schritt für Schritt zurück, entfernte sich immer weiter, verschwand für Sekunden zwischen Stämmen, tauchte wieder auf, wurde zum Baum unter Bäumen, im Weiß schwankte das Dunkle, taumelte und wackelte.
Louise hob die Walther und schoss in die Luft, die Kollegen würden den Knall schon hören. Sie rannte los, dem Pfad nach, der zu der Straße führen musste, auf der der Peugeot wohl stand. Im Laufen informierte sie den Rettungsdienst, dann Bermann, der ihr Befehle zubrüllte, die alle mit »Warte auf Verstärkung!« begannen oder endeten. Calambert tauchte nicht wieder auf, dafür sah sie wenig später das weiße Auto, das halb im Graben hing. Sie warf einen Blick ins
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