Dunkles Erbe - Blut Der Finsternis
den ganzen Weg nach unten noch gut unter Kontrolle hatte, bahnte sich unaufhaltsam ihren Weg an die Oberfläche und trieb ihr kalten Schweiß auf die Haut. Ihre Hände wurden feucht und ihr war, als vibrierte ihr ganzer Körper vor Anspannung, wie eine zu straff gespannte Saite.
«Ich werde nicht warten, bis er da ist», sagte Jarout leise. «Ich werde ihnen alles erzählen, bevor er sich einmischen kann und sie wieder nur ihm zuhören.»
Karen nickte zustimmend. Das hier war seine Show, sein Teil der Abmachung. Außerdem kannte er seine Familie und wusste ihre Reaktion einzuschätzen. Nicht, dass sie ihm viel Glück wünschte. Eigentlich wünschte sie ihm gar nichts. Sie konnte ja kaum einen klaren Gedanken fassen. Sie hoffte nur, dass Jarout zumindest halbwegs wusste, was er tat.
Mit einem Grinsen, das ihr wegen seiner Bösartigkeit einen Schauer über den Rücken jagte, steckte er das Buch zurück ins Hemd und schlug den Vorhang zur Seite.
Sofort fixierten sie vier Augenpaare und folgten jedem ihrer Schritte, als sie langsam den halben Raum durchquerten, bis sie vor der versammelten Gruppe standen. Auf der Couch hockten die beiden Schwestern mit angewinkelten Beinen und erinnerten mehr denn je an zwei lauernde Vögel, auch wenn ihre Flügel beinahe unsichtbar unter weiten Tüchern versteckt waren. Karen konnte den Blick nicht von den beiden abwenden. Der Schrecken der vergangenen Nacht steckte ihr noch immer in den Knochen. Wie bleich sie aussahen. Ihre Haut glich weißem, glattpoliertem Stein, und die vollen Lippen leuchteten viel zu rot. Aber am schlimmsten waren ihre Augen. Eiskalte Edelsteine, die das Licht einfingen und auf geradezu gespenstische Art reflektierten. Ihr Blick war grausam und verriet unmissverständlich, dass weder Gnade noch Mitleid jemals darin liegen konnte.
Entsetzt erkannte Karen, dass die größere, dunkelhaarige von beiden ein Fragment des Kopfes der Statue im Schoß hielt. Eiskalte Marmoraugen fesselten ihren Blick, unbewegt und starr, als wäre sie selber aus Stein. Schnell wandte Karen den Blick ab. Doch das Gefühl, von widerlich tastenden Händen berührt worden zu sein, ließ sie nicht mehr los.
Blanche stand neben einer hübschen, molligen Frau mit freundlichem Puppengesicht vor dem Kamin. Blanches ebenmäßige Züge verbargen perfekt, was immer sie gerade dachte, doch in ihren Augen spiegelte Besorgnis. Die Frau neben ihr zeigte ganz offen ihre Bestürzung. Verwirrte sie die Verletzung der Gastfreundschaft des Hauses so sehr? Flüchtig fragte sich Karen, ob sie tatsächlich, wie Jarout ihr vorwarf, einen großen Fehler begangen hatte, als sie eine derartige Verwüstung anrichtete. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass die Freundlichkeit, die Blanche ihr bei ihrer Ankunft entgegenbrachte, ohne jeden Hintergedanken war? Und auch, dass die Regel - keinen Menschen zu töten, tatsächlich Gültigkeit besaß und nicht nur eine Floskel war?
Oh, Karen, Schluss mit diesem Blödsinn! schalt sie sich selbst in Gedanken. Oder glaubst Du wirklich, dass du ihre sensiblen Gemüter verletzt hast? Wenn sie gekränkt sind, dann doch wohl nur, weil jemand überhaupt die Unverschämtheit besaß, sie anzugreifen. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf ihre Lippen.
«Da!», kreischte Eliane so laut, dass alle zusammenzuckten und sich zu ihr umdrehten. «Seht ihr das unverfrorene Grinsen in ihrem hässlichen Gesicht?» Sie sprang von ihrem Platz auf und öffnete mit majestätischem Gebaren ihr verstecktes Flügelpaar.
«Setz dich sofort wieder hin!», schrie Blanche und stellte sich ihr in den Weg. Und an Karen und Jarout gewandt sagte sie leise: «Und ihr beide setzt euch auch!»
Kaltes Entsetzten packte Karen. Sie sollte sich auf einen der Sessel neben diese rasenden Dämoninnen setzen? Auf gar keinen Fall. Sie dachte ja gar nicht daran.
«Das wird nicht notwendig sein. Karen bleibt in meiner Nähe, maman», sagte Jarout und zog Karen an der Hand mit sich, hin zu seiner Mutter.
«Ich werde euch alles erklären und danach, glaubt mir, wird Karen die Letzte sein, der ihr noch etwas vorzuwerfen habt», verkündete er.
Bevor Blanche oder sonst jemand ihn unterbrechen konnte, zog er das Buch aus seinem Hemd hervor. In theatralischer Geste hielt er es hoch und drehte sich einmal in der Runde, damit jeder das Bild auf dem Cover ganz genau sehen konnte.
«Was bitteschön ist das, Jarout?» Blanche klang ein wenig unsicher, denn genau wie die anderen erkannte auch sie Lucas auf dem Buchcover
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