Dunkles
Behütuns notierte sich die Nummern der sieben Lastzüge, aber eher aus Routine. Er war ja schon seit geraumer Zeit hier und hatte nichts Verdächtiges wahrgenommen. Bis auf den Bus, der mit knappen 70 vorbeigedonnert war, und ein paar Fahrradfahrern war nichts gewesen. Doch, die Musiker noch. Die hatte er schon verdrängt. Nein, daran wollte er sich nicht mehr erinnern. Die LKWs kamen aus Bulgarien, Tschechien, Litauen und der Ukraine. Den Abschluss der Reihe bildeten die Ukrainer, zwei von der gleichen Spedition. Der hintere war dem anderen bis auf Handbreite aufgefahren. So ist es im Führerhaus wahrscheinlich dunkler, und man kann besser schlafen, dachte sich Behütuns. Außerdem bekommt man so, fern der Heimat, auch ein bisschen Tuchfühlung. Behütuns schmunzelte bei diesem wärmenden Gedanken.
Hatte er wirklich alles wahrgenommen hier an diesem Stellplatz? Waren die Herkunftsländer der LKWs nicht schon fast wie eine Verdächtigenliste? Der ganze Osten war doch seit Jahren durchsetzt von kriminellen Strukturen, bis hinein in die Spitzen der Macht. Und immer wieder hatte die Polizei, auch die in Nürnberg, Schwierigkeiten mit mafiaähnlichen Banden. Kosovo, Albanien, Ukraine, Russland, Rumänien. Die können doch alle Waffen gebrauchen. Die regeln doch ihre Angelegenheiten vielfach nur mit Waffengewalt. Ein LKW-Fahrer spuckte sein Zahnputzwasser von der Fahrerkanzel hinunter auf die Straße. Das geht ja noch, dachte sich Behütuns, das größere Geschäft aber machen sie sicher hinter ihre Züge in die Wiesen. Sie luden ja geradezu dazu ein. Wie es da wohl aussah?
Behütuns trat zwischen zwei LKWs an den Wiesenrand. Genau so habe ich es mir vorgestellt, dachte er. Beim vordersten der LKWs stand die Beifahrertür offen, und nicht zwei Meter davon entfernt hockte der Fahrer in den Wiesen. Er sah Behütuns, ließ sich aber nicht stören. Wie sollte er auch – was raus muss, muss raus.
Nein, Kommissar Friedo Behütuns war sich sicher: Hier war nichts Verdächtiges. Da klingelte sein Telefon.
Inzwischen liefen bei der Erlanger Polizei alle Fäden zusammen, auch die gedanklichen.
Etwa um die Zeit, als Kommissar Friedo Behütuns in die Bayernstraße eingefahren war, hatte bei Jogi Seufert der Wecker geklingelt. Er war, ganz gegen seine Gewohnheit, erst spät ins Bett gekommen und entsprechend müde. Aber es half ja nichts, spätestens um vier musste er los in die Bäckerei. Jogi Seufert war der Juniorchef der Bäckerei Pockelmann, einer ganz besonderen Bäckerei: Hier machte man noch alles per Hand. Teigkneten zwar nicht, das wäre auch zu viel verlangt, aber jedes einzelne Brötchen, jedes Krusti, jede Breze, jedes Hörnchen und auch die Kuchen. Die einzige weitere Maschine, die in der neuen Backstube gestanden hatte, war die für die Kreuze der Kaisersemmeln gewesen. Und von der hatte die letzte genau so lange gehalten, bis sie sich amortisiert hatte, dann war sie kaputtgegangen. Ein Null-Geschäft also. All das hatte Seufert Tom Sandner einmal erzählt, einem Hauptkommissar der Erlanger Polizei, mit dem er im gleichen Verein war. Auch, dass man die Laugensemmeln, -brezen und -stangen nicht fertig einkaufe und nur noch aufbacke wie fast alle Großbäckereien und Backstubenketten, sondern selber mache, und dass jede einzelne Breze per Hand geformt sei. Fast alle Rezepturen rühre man täglich frisch an, wenn möglich mit Zutaten aus der Region – Weizen, Roggen und so, aber auch Zwetschgen, Kirschen oder Äpfel für die Kuchen –, und dass er deshalb, wegen der Handarbeit, in seiner Backstube mehr als 20 Leute beschäftige. Und, darauf war er besonders stolz, dass man seit über 110 Jahren nur Flüssigsauerteig verwende, nie diese fertigen Trockenmischungen. 72 Stunden reife so ein Teig insgesamt – nicht nur fünf oder sechs, wie mit den Fertigmischungen – für das krustige Bauernbrot – das dann in einem echten Holzbackofen, der mitten in der Backstube stand, gebacken werde. »Brot ist doch unser Hauptnahrungsmittel«, hatte Seufert gesagt, »da darf man nicht irgendwas für verwenden. Ich habe doch eine Ehre als Bäcker. Und einen Anspruch.« Jogi Seufert war besessen von gutem Brot und gutem Backwerk, aber er hatte manchmal das Gefühl, dass die Leute das nicht wirklich schätzten oder sich vielleicht darüber einfach keine Gedanken machten. »Die schauen auch noch beim Brot auf jeden Cent – aber sie stecken es doch in sich hinein, sie essen es, es ist doch ihre Nahrung. Trotzdem kaufen sie oft,
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