Dunkles
Hier war ein Ende und zugleich ein Anfang.
John Irving, Witwe für ein Jahr
1. Kapitel
»Hast'n du keine Krimis?«, rief P. A. durch das Durcheinander hinüber in die Küche. P. A., also Peter Abend, half seinem Kollegen Peter Jaczek beim Umzug. Es war nicht viel los gewesen heute bei der Kriminalinspektion im Nürnberger Polizeipräsidium. Nur eine Frau hatte früh angerufen, ihre Tochter sei verschwunden. Aber die kam bestimmt bald wieder, und sie sahen das erst mal nicht als Kriminalfall an. Man hatte ihnen die Sache ohnehin nur zugeschoben, weil bei ihnen nicht so viel anlag. 17-jährige Mädchen übernachten nun mal gern außer Haus, machen ihre ersten Erfahrungen. 50 Meter jenseits der Stadtgrenze, Gott sei Dank, hatte in der Nacht ein Auto gebrannt, ein Monster, so ein überflüssiger Pick-up, Isuzu D-Max, aber das war was für die Erlanger. Das Auto schien angezündet worden zu sein. Brandstiftung. Sonst war nichts. 50 Meter, so ein Glück! Also hatten sich Jaczek und P. A. auf den Weg gemacht zu Jaczeks alter Wohnung, ein paar Kisten schleppen. Seit Wochen schon schob Jaczek den Umzug vor sich her, er brachte das einfach nicht auf die Reihe. Also nahm P. A. das nun für seinen Freund und Kollegen in die Hand. Er hatte früher, noch als Schüler und später als Student, oft als Umzugshelfer gejobbt. »Möbelpacker« hatte man das damals genannt. Die Sachen der Leute in Kisten verstauen, Kisten und Möbel auf den LKW, zur neuen Wohnung fahren und dort wieder auspacken und einräumen. Seither wusste er, wie man Geschirr richtig verpackt, Sofas abschnürt und kantet und durch enge Treppenhäuser bekommt, wie man Schränke zerlegt und was »englisch Schrauben« ist. Außerdem machte ihm körperliche Arbeit hin und wieder Spaß. Ist doch etwas ganz anderes als das Hocken im Büro. Jaczek würde das allein sowieso nie schaffen bis zur Geburt seiner Tochter. Ob er den Umzug absichtlich so hinauszögerte? Seine Freundin war jetzt schon im achten Monat schwanger und Jaczek gelang es einfach nicht, seine Sachen in die gemeinsame Wohnung zu bringen und sein 40-jähriges Junggesellenleben aufzugeben. Er hatte sich innerlich auch lange gegen die Schwangerschaft gewehrt. P. A. konnte das nicht nachvollziehen, Jaczek aber war im Grunde seines Herzens ein lonely wolf und würde das wohl nie ablegen können. Peter Abend gab der Beziehung, wenn er ehrlich war, auch keine große Zukunft. Jaczek hatte es in den vergangenen zehn, zwölf Jahren, seit P. A. ihn kannte, nie lange mit einer Frau ausgehalten. Kam Jaczek eine andere Person über längere Zeit zu nahe, drang sie zu tief in sein psychisches Revier ein – dieses Gefühl hatte P. A. zumindest –, dann biss Jaczek sie weg. Gnadenlos. Dabei waren seine Bekanntschaften immer so nett! Aber egal, jetzt mussten die Sachen endlich mal gepackt und in die neue Wohnung gebracht werden.
Schwül war es, ein heißer Julinachmittag. Eigentlich Vor-Nachmittag. Komisch, dafür gibt's kein Wort. Peter Dick, der andere Kollege, war zum Bürodienst verdammt worden, einer musste ja die Stellung halten, und der Chef der drei Peters, Kommissar Friedo Behütuns, hatte sich ins Auto gesetzt und noch in die Fränkische gewollt. Zuerst ins Streitberger Bad, da kannte ihn niemand und da traute er sich auch in der Badehose hin. Seine Wampe machte ihm langsam zu schaffen. Und danach auf irgendeinen Keller. Vielleicht auf den Kirschenkeller hinten bei Pretzfeld, hatte er gesagt. Da hatte man so eine schöne Aussicht. »Und stört mich nur, wenn wirklich was ist, ist das klar?«, hatte er noch gerufen, sich seinen Tabak geschnappt und war los.
P. A. schwitzte, außerdem waren die Bücher staubig.
»Mach doch mal die Fenster auf, dass es ein wenig durchzieht!«
Jaczek grunzte in der Küche. P. A. packte gerade die Umzugskartons um. Jaczek hatte sie genau so gefüllt, wie P. A. es schon früher immer erlebt hatte, wenn die Leute das selber machten. Einfach dilettantisch. Die packten ganz stur von links nach rechts oder von oben nach unten in der Wohnung, ohne Sinn und Verstand: eine Kiste mit Büchern, eine mit Schallplatten, wieder eine bis oben hin voll mit Büchern, dann eine mit Sofakissen, eine mit Lampenschirmen und wieder eine mit Büchern oder CDs. Allein vier Kisten hatte er mit Tonbändern! Ist denn da überhaupt noch was drauf? Zersetzen die sich nicht im Lauf der Zeit? Die einen kannst du nicht schleppen, und die anderen fliegen dir davon. Dass sich die Leute darüber keine Gedanken
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