Durcheinandertal
daß der Reichsgraf jeden Augenblick erwartete, die Polizei marschiere herein.
Darauf wurden die vier Millionen, die er an der Gulbenkian-Stiftung gewonnen hatte, und der gefälschte Goya Eigentum des Kaminfegers. In Kloten nahm der Reichsgraf, krebsrot vor Wut, ein Taxi und fuhr in die Minervastraße. 33a war eine alte tannenumstellte, baufällige Villa, die den Anschein machte, jeden Augenblick in sich zusammenzufallen. Das Monokel des Reichsgrafen blitzte gefährlich. Ein rothaariger Jüngling öffnete. Der Reichsgraf sah sich unvermutet in einem halb aus den Fugen geratenen getäfelten Zimmer drei Rechtsanwälten gegenüber, jeder zeusköpfig, nur durch die Haarfarbe zu unterscheiden, rot, grau, schlohweiß, die sich als Raphael, Raphael und Raphael vorstellten. Der jüngste lispelte, der mittlere war heiser, und der älteste fingerte an seinem Hörapparat herum, der unaufhörlich pfiff. Der Reichsgraf setzte sich. Der Lispelnde eröffnete die Sitzung. Er dankte dem Reichsgrafen. Sein dem Gewährsmann ihres Kunden in New York übergebener Goya habe sich als echt herausgestellt und sei soeben bei Christie’s für zwölf Millionen Dollar versteigert worden. Dann meinte der zweite mit krächzender Stimme, von 19
Kücksen sei durch diese Meisterfälschung ordentliches Mitglied des ersten – ehern – Syndikats der Vereinigten Staaten geworden, dessen Befehlen, übermittelt von Raphael, Raphael und Raphael, er, der Reichsgraf, keine Widerstände entgegenzusetzen habe. Darauf flüsterte der älteste, kaum verständlich, weil sein Gebiß ihm Mühe bereitete, von Kücksen könne jetzt gehen.
Das Advokaturbüro Raphael, Raphael und Raphael blieb auch sonst nicht untätig. Es zog andere Rechtsanwälte ins Vertrauen, diese Nationalräte, diese Ständeräte, die vertraulichen Gespräche verzweigten sich, ein Bundesrat wurde angefragt, von dort sickerte der Wunsch in die Verwaltung. Waren Raphael, Raphael und Raphael sich noch einigermaßen über den Großen Alten im klaren, so überlieferten sie von diesem den Rechtsanwälten, mit denen sie sich in Verbindung setzten, ein von allen kriminellen Schatten zwar nicht ganz befreites, doch gemildertes Bild, das, wie es weiter empfohlen wurde, sich aufhellte, bis es sich derart verklärte und ins Humanitäre verschob, daß es sich eigentlich um kein Bild mehr handelte, sondern um eine äußerst blasse Idee von einer losen Vereinigung wohltätiger Multimillionäre, die eine amerikanische Parallelgesellschaft zur Moralischen Aufrüstung in Caux gegründet hatten, die Boston Society for Morality. Nach dieser gleichsam homöopathischen Vorbereitung wurde ein Ehrenkomitee gebildet, mit einem Altbundesrat als Präsidenten, mit Nationalräten, Ständeräten, Bankiers, Persönlichkeiten der Gesellschaft und einem Theologieprofessor, die keine Ahnung hatten, wozu sie gebraucht wurden. Die Boston Society for Morality war so nebelhaft wie die meisten Vereinigungen für gute Zwecke. Die Herren standen in der Gründungsversammlung ratlos herum, 20
bevor sie zur Gründung der europäischen Sektion der Society schritten, ahnungslos, daß es eine amerikanische Sektion gar nicht gab. Dann unterschrieb der Altbundesrat die Gründungsurkunde, worin er als Präsident des Vorstands bezeichnet wurde, und betonte bei seiner Tischrede, die Hauptsache sei die Gründung der Society for Morality auch auf europäischem Boden, der Zweck, weshalb sie gegründet worden sei, werde sich finden.
Moses Melker hatte seine Begegnung mit dem Großen Alten längst vergessen, wenn er auch das dumpfe Gefühl nie loswurde, sich an etwas ungemein Wichtiges nicht mehr erinnern zu können.
Die Hoffnung, eine Erholungsstätte für Millionäre zu errichten, hatte er aufgegeben. Wenn die Erde bebte, die Ströme über die Ufer traten, Lawinen niederdonnerten, Berghänge rutschten, Vulkane auseinanderbrachen, wurden die Menschen von einer Hilfswut und Wohltätigkeitsorgie erfaßt.
Es wurde gesammelt und gespendet, der Rundfunk kurbelte an, verkündete wie Siegesmeldungen eine Million, zwei Millionen, zweieinhalb, drei Millionen, Belegschaften und Schulklassen steuerten bei, Sänger spendeten ihre Abendgagen, Schriftsteller lasen, Maler malten, Komponisten verfertigten Trauerkantaten, die Welt schmolz vor Mitleid, geriet aber ein Millionär in Not, verfuhr der Große Alte (mit Bart) bitter mit dem Reichen.
Doch der Große Alte (ohne Bart) ließ sich nicht täuschen.
Moses Melker bemitleidete sich selber. Auch er hatte es
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