Durcheinandertal
jedenfalls hinzitiert, wobei freilich nie auszumachen war, von wem. Einer der drei, wobei jedoch niemand zu sagen wußte, welcher, ob es sich um den Seniorchef, den Chef oder den Juniorchef handelte, auch in der Minervastraße 33a in Zürich im Büro der Anwälte war man unsicher, einige behaupteten, es gebe nur einen Raphael, andere, der Seniorchef und der Chef seien Zwillingsbrüder und nicht voneinander zu unterscheiden, während der Juniorchef gestorben sei, auch gab es noch andere Versionen. Wußte niemand, wer da flog, so wußte der nicht, der da flog, wohin er flog, denn er wurde stets anderswohin geflogen, aber auch zu 14
wem, war nie festzustellen. Das Flugzeug war fensterlos, und es war unmöglich, ins Cockpit zu gelangen, und beim Abflug war in den Champagner ein Schlafmittel gemischt, ohne daß je ein Steward zu sehen war. Die holprige Piste, auf der das Flugzeug diesmal landete, grenzte an einen Golfplatz. Als der Rechtsanwalt die Maschine verließ, stand er auf einem Green.
Überall lagen Golfschläger herum, viele verrostet, und Golfbälle. Die Sonne stand tief, es mußte gegen Abend sein.
Am Ende des Golfplatzes stand ein weißes langgestrecktes Gebäude, dem durch die Kuppel, die sich unvermittelt über einen seiner Seitentrakte erhob, etwas Vatikanartiges anhaftete.
Es stand unmittelbar am Rande einer Steilküste, war unbeschreiblich verlottert, und die Fenster waren eingeschlagen. Einst mußte das Gebäude ein Hotel gewesen sein, doch vor langer Zeit, so dicht war in den leeren Räumen das Genist von Spinnweben, und aus den Nestern, die über den Fenstern und Türrahmen klebten, flatterten Vögel. In einem Korridor irrte eine handgroße Spinne herum. Die Toilette luxuriös, aber verkotzt. Unter der Kuppel befand sich der Festsaal. Ein immenses Büffet war aufgebaut, doch offenbar seit Monaten, es war verschimmelt und mit Fliegen überkrochen. Der Ozean (oder der Atlantik) war tiefblau, hellte sich gegen den Horizont hin auf. Ein ächzender Wagen einer Drahtseilbahn führte zum Meer hinab, ein leerer Wagen ächzte ihm entgegen, und am Strand lag ein Mann. Er trug eine alte Smokinghose, Füße und Oberkörper waren nackt, auf der Brust ein weißes Haargewirr, das Gesicht von einem Sombrero verdeckt. Vielleicht war es der Große Alte, vielleicht war es nicht der Große Alte. Er schlief auf einer Matratze, aus der Roßhaar quoll. Ein hagerer Mann, nur mit einem Ärztekittel bekleidet, vollkommen kahl, mit einer goldenen randlosen Halbbrille, über welche die Augen in einem intensiven Blau strahlten, so daß er aussah wie von El Greco gemalt, stand 15
beim Schlafenden und zog eine Spritze auf. Gegen das Ufer zu, durchnäßt, Pornohefte, ›Stielers Handatlas über die Theile der Erde und über das Weltgebäude‹, erschienen bei Justus Perthes 1890, ›Meyers Konversationslexikon in 18 Bänden 1893-1898‹, ›Die Philosophie im Boudoir‹ des Marquis de Sade, Unmengen von Telefonbüchern, von Karl Barths kirchlicher Dogmatik der dritte Band: ›Die Lehre von der Schöpfung: Über das göttliche Regieren‹, Stöße von Börsenberichten, ›Der Spiegel‹, die ›Biblia Hebraica ad optimas editiones imprimis Everardi Van der Hooght‹, weitere Hefte und Schwarten, dazu Berge von ungeöffneten Briefen, sie bedeckten den ganzen Strand, immer wieder überspült von der Brandung, dazwischen funkelten überall unzählige Taschen- und Armbanduhren aus Blech, Silber, Gold und Platin. Die Sonne war höher gestiegen.
Es mußte nicht Abend, sondern Morgen sein. Die Drahtseilbahn ächzte wieder hinauf und herunter, ihr entstieg ein Albino mit langen weißen Haaren, im Smoking, und kippte aus einem Papierkorb ungeöffnete Briefe zu anderen ungeöffneten Briefen. Die Drahtseilbahn ächzte wieder hinauf und herunter. Der Mann unter dem Sombrero erwachte und begann zu lachen. Dann gab ihm der hagere Kahle die Spritze, und der Mann unter dem Sombrero schlief wieder ein. Der Rechtsanwalt bestieg die Drahtseilbahn und fuhr hinauf.
Wieder in der Minervastraße, fiel es dem Rechtsanwalt ein, weshalb ihn der Große Alte hatte kommen lassen (falls es der Große Alte gewesen war): Er ließ das Kurhaus samt Inventar aufkaufen, obgleich er nicht wußte, wozu und woher das Geld stammte, das ihm plötzlich zur Verfügung stand, und auch Kurhausdirektor Göbeli wußte nicht, weshalb er das Kurhaus verkaufen sollte, ein Göbeli hatte es gegründet, ein Göbeli übernommen, und er führte es weiter, es rentierte wie nie
Weitere Kostenlose Bücher