Durchgebrannt - Roman
dass sie stark bleiben und zusammenhalten, dass sie mich in den Arm nehmen, sofort.
Und ich möchte, dass sie's Sarah nicht noch schwerer machen. Sarah soll nicht wissen, wie viel Kummer wir ihretwegen haben.
Lange sitze ich im Sand und denke nach. Meine Finger streicheln eine knorrige Wurzel, die wie eine Hand geformt ist. Irgendwo, in einem sumpfigen Dickicht, stößt ein Seevogel klagende Laute aus. Es klingt wie ein Weinen.
Ein leichter Nieselregen setzt ein. Die Sterne sind nicht mehr zu sehen. Ob die Seele wirklich in den Himmel fliegt? Auch bei schlechtem Wetter, wenn keine Flugzeuge starten? Ich putze mir die Nase.
Dann fange ich die Regentropfen mit der Zunge auf und treffe schweren Herzens eine Entscheidung.
Als ich mich, fast eine Stunde später, auf den Rückweg zum Campingplatz machen will, torkelt eine massige Gestalt auf mich zu: Schnitzel.
»Uuuah, Florian«, röhrt er und versucht, mir auf die Schulter zu schlagen, trifft aber nicht und kippt zur Seite, sodass ich ihn stützen muss. »Das glaubst du nicht: Nils und der Spasti wollen Blutsbrüder werden.« Er rülpst und der Schwall Bierdunst schlägt mich fast k. o. »Jetzt trinken sie alles durcheinander, weil sie so gefrustet sind.« Unmotiviert hebt er die Stimme. »Sie trinken darauf, dass sie keine Frauen haben und wahre Freunde sind.« Schnitzel hickst, versucht zu lachen, was aber weinerlich klingt. »Bluts brüder ! Die! Ist das nicht traurig?«
»Eher beängstigend«, brumme ich und überlasse Schnitzel seinem Schicksal. »Sieh zu, dass du in deinen Schlafsack kommst.«
22
Die Party, wenn's denn eine war, ist längst vorbei. Nur Nils und Lennart hocken noch in der Dünenkuhle wie ein Paar zusammengesackter Stiefel. Lennart hat das Kinn auf die Brust gelegt und lallt vor sich hin. Nils ist auch nur noch halb aufgerichtet. Seine hellen Augen blicken misstrauisch, den einen Arm hat er unsicher ausgestreckt, so, als ob er nicht wüsste, ob er mich mit der Hand wegscheuchen oder bitten soll, ihn auf die Beine zu ziehen.
Schnitzel hat recht: Das ist traurig.
»Nils, steh auf! Es fängt an zu regnen und es ist schon nach zwölf. Peter hat gesagt, wir sollen alle spätestens um Mitternacht in den Zelten liegen. Los, ihr müsst euch zusammenreißen und mit zum Campingplatz kommen. Sonst gibt's Ärger.«
»Nils Wende ist am Ende«, sagt Nils mit schwerer Zunge und würgt ein leidendes und zugleich listiges Lächeln hervor.
»Wir haben keine Zeit für Sprüche.« Ich bücke mich, hebe ein paar leere Flaschen auf und stecke sie in die Tüten.
Nils schlägt Lennart auf den Rücken. »Guck mal! Florian ist uuumweltbewusst, wusstest du das, Spasti?«
»Ich dachte, ihr wärt jetzt Blutsbrüder«, zische ich und wundere mich, dass Lennart anscheinend noch gar nicht mitgekriegt hat, dass ich da bin. Während ich mich ans Bier gehalten habe, muss er viel Hochprozentiges getrunken haben. Extrem langsam hebt er den Kopf: »Florian? Welcher Florian?«
»Florian, der Freund von Lea und Ricarda. Eine heiratet er, die andere nimmt er als Geliebte. Oder er teilt sie sich mit Ferhad, der steht auch auf Zweitfrauen.«
»Red keinen Scheiß!«
»Dann treiben sie's zu dritt, nein, zu . . . zuu viert.« Nils streckt vier Finger der linken Hand und den Mittelfinger der rechten in die Luft und führt sie ruckartig aufeinander zu.
»Du bist völlig zu, Nils.« Ich nehme ihm die Flasche, die ihm heruntergerutscht ist, weg und stopfe sie in die Mülltüte.
»Und du kriegst beim Anbaggern den Hals nicht voll.« Er schnieft laut durch die Nase. »Genau wie Ricarda.«
»Dafür ist so eine Fahrt ja auch da, oder? Aber du kannst beruhigt sein, zwischen mir und Ricarda läuft definitiv nichts. Auch nicht zwischen mir und Lea. Momentan passt alles nicht.«
»Momentan«, wiederholt Nils höhnisch. »Das sag ich doch.«
»Verdammt, ich hab andere Probleme.«
Lennart erwacht kurzfristig aus seiner Versenkung, hebt den Kopf und fragt: »Welcher Florian?«
Mein Gott, was für jämmerliche Gestalten. Und deren Gesellschaft war mir so wichtig.
»Was hast du denn für Probleme, du Frauenheld?« Nils wird laut und fuchtelt mit den Armen.
»Welche wohl?«, entgegne ich zornig, und da hat auch mein Kumpel im Rausch einen hellen Moment und merkt, was er da eigentlich fragt.
»Ja, Sarah, aber die schafft das, die hat das immer geschafft«, sagt er schnell.
»Ich weiß es nicht.« Auf einmal habe ich Wackelpuddingbeine und setze mich neben Lennart in den Sand.
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