Dying to Live: Vom Überleben unter Zombies (German Edition)
schien doch nach einer mächtigeren, weiter reichenden Ursache zu verlangen.
Wahrscheinlich war das der Grund, weshalb so viele Menschen an die paranoide Verschwörungstheorie glaubten, unsere oder eine andere Regierung habe den Krankheitserreger freigesetzt, weil sie ihn auf entsetzlich stümperhafte Weise am lebenden Objekt testen wollte. Anhänger verteidigten diese Theorie oft beinahe mit Begeisterung und führten zum Beweis zahllose echte und eingebildete Fälle von regierungseigenem Terror an, von Andersonville über Tuskegee und dem Guantánamo-Lager bis hin zu der Behauptung, das Leitungswasser sei mit Fluorid vermischt worden. Ihre Erzählungen waren fast so etwas wie die Gutenachtgeschichten der Apokalypse, die uns mit einem winzigen, bizarren Hoffnungsschimmer in den Schlaf lullten, denn durch sie ergab die Welt auch jetzt noch auf seltsame Weise Sinn, und der Untod war keine neue, unverständliche Form des Bösen, sondern vielmehr die Fortsetzung des Wahnsinns und der Brutalität dieser Welt; wie Jackie Kennedy, die auf dem Kofferraum des Lincoln herumkrabbelt und versucht, diesen riesigen Klumpen festzuhalten, den Kopf ihres Mannes, der ständig hin- und hergeschleudert wird, oder wie die Bulldozer, die in Dachau ganze Berge von abgemagerten Körpern in riesige Gruben schieben. Ein seltsamer Trost, sicher, aber oft das Einzige, was uns blieb.
Die beliebteste Theorie jedoch – diejenige, an die auch ich glaubte, wenn auch nicht mit allzu großer Überzeugung – war die, dass das Ganze einfach nur ein schrecklicher Unfall gewesen war. Nichts Bösartiges oder Kalkuliertes, einfach nur einer dieser guten alten menschlichen Fehler. Irgendjemand hatte irgendwo ein Reagenzglas fallen lassen. Ein Laboraffe hatte jemanden durch den Handschuh gebissen. Irgendwas, das tausend Tage nacheinander tausendmal am Tag passiert und nie ein tödliches Ende nimmt. Ich schätze, das war wohl das Szenario mit dem schwärzesten Humor, da es das Elend und den Tod von Milliarden von Menschen zum Ergebnis eines dummen menschlichen Fehlers machte, aber es bot dennoch seinen ganz eigenen, kalten Trost. Wenn all dies nur ein Versehen gewesen war, dann konnten wir vielleicht, falls es uns gelingen sollte, sämtlichen Zombies eine Kugel in den Kopf zu jagen – die einzige Möglichkeit, sie für immer außer Gefecht zu setzen – oder wenn sie am Ende einfach verrotten und verfallen würden – das hatten anfangs noch alle gehofft – wieder so leben wie früher. Wir waren nicht bösartig, nur dumm und ungeschickt. Wie die arme Pandora.
So sahen also einige der Theorien dazu aus, wie alles angefangen hatte. Aber was auch passiert war – und ich habe die exotischeren Alternativen, zum Beispiel den außerirdischen Infektionsherd, ausgelassen –, am Ende saßen wir alle im selben Boot. Fast ein Jahr, nachdem die erste Leiche sich wieder erhoben hatte, wurde die Welt von Untoten beherrscht, die ohne erkennbares Ziel umherwandelten – abgesehen davon, dass sie lebendige Menschen töteten und verspeisten. Die Untoten waren überall; eine neue, dominante Spezies, die den Platz der alten, ausgestorbenen einnahm. An Orten, die früher dicht von Menschen besiedelt gewesen waren, tummelten sich besonders viele wandelnde Tote, obwohl sie nie voneinander Notiz nahmen.
Die Lebenden hingegen fanden sich, wie sie es immer getan hatten, meist in kleinen Gruppen zusammen. Regierung, Gesellschaft und Kultur waren mit erschreckender Geschwindigkeit zerfallen, hatten sich sozusagen aufgelöst, als sich die Infektion ausbreitete. Schon nach wenigen Stunden war das Telefonnetz zusammengebrochen, sodass zu Tode erschrockene Anrufer keine Hilfe bei der Polizei oder anderen Rettungskräften erhielten. Nach einigen Tagen gab es keinen Strom und kein Fernsehen mehr, und nach wenigen Wochen brach auch der Widerstand des Militärs und der Regierung zusammen, zumindest in den USA.
Aber die einzelnen Überlebenden fanden sich schnell zu kleinen Sippen zusammen, kleinen Gemeinschaften mit einer Hackordnung, Regeln und Gewaltenteilung, aber eben auch mit den kleinen Vorteilen, die das Leben mit anderen Menschen mit sich bringt – Kameradschaft, Unterhaltungen, Sex, jemanden, der einem die Hand hält, wenn man im Sterben liegt, oder jemanden, der einem eine Kugel in den Kopf jagt, wenn man als Zombie wieder aufersteht. (Wenn Sie je einen Zombie gesehen haben – und, Gott schütze Sie, ich hoffe es nicht, aber da Sie dies lesen, vermute ich eher das Gegenteil
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