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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Lee
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irgendetwas ließ sie aus. Irgendetwas Wichtiges, das spürte sie, kam aber nicht darauf, was.
    «Verdammt, was noch …?», flüsterte sie.
    Sie sah, wie sich die Killer jetzt nach ihr umdrehten. Offenbar hatten sie ihre Stimme gehört. Gleich darauf kamen sie auf sie zugerannt, ihre Schritte klatschten über den nassen Asphalt.
    Verdammt, was hatte sie noch vergessen?
    Die Person am anderen Ende nutzte die kurze Unterbrechung, um zu fragen, ob bei ihr alles in Ordnung sei.
    Da fiel es ihr ein.
    Sie kleidete es in die denkbar schlichteste Form und schrie es ins Telefon, und da spürte sie auch schon, wie Hände durch das Fenster nach ihr griffen, sie an den Waden packten und aus dem Fahrzeug zogen. Sie umfasste das Handy mit beiden Händen und brach es entzwei. Hörte, wie die Platinen im Inneren zerknackten wie trockene Salzkräcker.
    Dann lag sie auch schon draußen auf dem Asphalt, wurde herumgedreht und mit vorgehaltener Pistole zu Boden gedrückt. Erneut huschte dem Killer der rasch wechselnde Lichtschein der Fotofolge auf dem PDA übers Gesicht. Sie sah an den beiden vorbei und zu dem Körper hinüber, den sie aus dem dritten Geländewagen gezerrt hatten. Jetzt begriff sie, warum sie ihn achtlos liegen gelassen hatten: Eins der Beine war durch einen Schuss knapp über dem Knie nahezu abgetrennt worden, hing nur noch an etwas Haut und Muskelfetzen. Aus der aufgerissenen Oberschenkelarterie war bereits eine große Lache Blut auf den Asphalt gepumpt worden. Jetzt sickerte nur noch wenig heraus. Weil in dem Körper kaum noch Blut war.
    Der Killer ging weiter seine Fotos durch. Paige hörte die Geräusche anderer Männer irgendwo hinter ihr, am hinteren Ende ihres Fahrzeugs. Hörte, wie sie dort mit dem Fuß die Glassplitter beiseitekehrten, niederknieten und leise vor sich hin fluchend im Inneren herumkramten. Dann ein unverkennbares Kratzen und Scharren, als sie den Kunststoffkoffer mit der Entität über den Asphalt ins Freie zerrten. Als Nächstes war zu hören, wie sie mit dem Koffer davonspurteten, zurück in die Richtung, wo als Erstes geschossen worden war.
    Das Flackern des PDA über ihr hörte auf. Der Mann, der ihn bediente, blickte auf das Display, dann auf sie, dann wieder auf das Display.
    «Hüterin?»
    «Oh ja.»

2
    Travis Chase verbrachte seine Arbeitspause allein auf Laderampe vier. Er saß am Rand der Rampe und ließ die Füße baumeln. Über den Parkplatz kam nächtlicher Nebel gezogen, der intensiv nach Auspuffgasen, nassem Asphalt und Fast Food roch. Hinter der schmalen Böschung am Rand des Parkplatzes rauschte in sporadisch aufbrandenden Wellen der Verkehr auf der I-285 vorüber. Jenseits der Interstate erstreckte sich Atlanta, breit und diffus beschienen von orangebraunem Natriumlicht. Um diese Zeit, zwei Uhr früh, summte die Stadt nur verhalten vor sich hin, im Leerlauf gleichsam.
    In der Lagerhalle hinter Travis herrschte Stille. Nur aus dem Pausenraum am südlichen Ende der Halle drangen Geräusche herüber. Leise Stimmen, das Öffnen und Schließen des Mikrowellenofens, hin und wieder das Scharren von Stuhlbeinen. Diesen Raum suchte Travis in der Regel nur auf, um seinen Imbiss im Kühlschrank zu verstauen und in der Pause wieder herauszunehmen.
    Am Rand des Parkplatzes bewegte sich etwas. Dunkel und tief geduckt, nahezu flach am Boden. Eine Katze auf der Jagd. Sie pirschte meterweise vorwärts, hielt immer wieder kurz inne und schoss dann blitzschnell zum Fuß eines Müllcontainers. Travis vernahm ein Piepsen, gefolgt von gedämpftem Kampfgetümmel, der leise Aufprall weicher, kleiner Gliedmaßen gegen Stahl. Dann wieder Stille, bis auf das Auf- und Abbranden des Verkehrs auf der Autobahn.
    Travis beendete seine Mahlzeit, knüllte die braune Papiertüte zusammen und warf sie in die Mülltonne neben der Abfallpresse.
    Er rückte herum, zog die Beine hoch und streckte sie am Rand der Rampe aus. Lehnte sich mit dem Rücken an den mit Beton gefüllten Stahlmast neben dem Hallentor und schloss die Augen. In manchen Nächten döste er in dieser Haltung einige Minuten vor sich hin, doch meistens reichte es ihm vollauf, nur ein wenig zu entspannen. Sich ein Weilchen aus allem auszuklinken und an nichts zu denken. Sich an nichts zu erinnern.
     
    Seine Schicht endete um halb fünf. In dieser letzten Stunde der Augustnacht waren die Straßen noch wie leergefegt. Ehe er zu seiner Wohnung hochstieg, nahm er die Post aus dem Briefkasten. Zwei Werbebriefe für Kreditkarten, eine Gasrechnung und

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