Septimus Heap 06 - Darke
Prolog
Prolog: Verbannt
E s ist eine dunkle und stürmische Nacht. Schwarze Wolken hängen tief über der Burg und hüllen die goldene Pyramide an der Spitze des Zaubererturms in trüben Dunst. In den Häusern weit darunter wälzen sich die Menschen unruhig im Schlaf, denn das Donnergrollen dringt in ihre Träume ein und macht sie zu Albträumen.
Wie ein riesiger Blitzableiter ragt der Zaubererturm hoch über die Dächer hinaus, magische violette und indigoblaue Lichter umspielen seinen silbern schillernden Glanz. Im Innern des Turms bricht der Zauberer vom Dienst zu einem Kontrollgang durch die schwach erleuchtete Große Halle auf, überprüft den Unwetterschutzschirm und behält das Instabile Fenster im Auge, das bei Gewitter gern in Panik gerät. Der Zauberer vom Dienst ist ein wenig nervös. Normalerweise wird Magie von einem Unwetter nicht beeinträchtigt, aber alle Zauberer wissen von dem großen Blitzschlag, der vor langer Zeit die gesamte Magie im Zaubererturm vorübergehend außer Kraft gesetzt und die Gemächer des Außergewöhnlichen Zauberers schwer versengt hat. Niemand will, dass sich dergleichen wiederholt, am wenigsten der Zauberer vom Dienst.
In der Spitze des Zaubererturms stöhnt Marcia Overstrand in ihrem bislang unversengten Himmelbett, da sie im Schlaf ein nur zu vertrauter Albtraum quält. Mit einem scharfen Zischen zerreißt ein Blitz die Wolke über dem Turm und fährt an dem Blitzableiter, den der Zauberer vom Dienst eilends herbeigezaubert hat, sirrend in die Erde, ohne Schaden anzurichten. Marcia schreckt aus dem Schlaf hoch. Die dunkel gelockten Haare zerzaust, noch in ihrem bösen Traum gefangen, sitzt sie kerzengerade im Bett. Plötzlich reißt sie vor Überraschung die grünen Augen auf. Ein lila Geist schießt durch die Wand und kommt neben dem Bett schlitternd zum Stehen.
»Alther!«, stößt sie hervor. »Was wollen Sie denn hier?«
Der große Geist, der seine langen weißen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat und das blutbefleckte Gewand eines Außergewöhnlichen Zauberers trägt, wirkt etwas mitgenommen.
»Wenn ich etwas nicht ausstehen kann, dann das«, keucht er. »Ich bin passiert worden. Von einem Blitz.«
»Das tut mir sehr leid, Alther«, brummt Marcia, »aber ich verstehe nicht, warum Sie hier hereinplatzen und mich wecken müssen, nur um mir das zu sagen. Sie brauchen vielleicht keinen Schlaf mehr, ich aber sehr wohl. Und überhaupt, das geschieht Ihnen ganz recht. Was müssen Sie sich auch bei Gewitter draußen herumtreiben. Ich weiß nicht, warum Sie ... Aaaah!«
Wieder erhellt ein Blitz die lila Scheibe ihres Schlafzimmerfensters und lässt Alther beinahe durchsichtig erscheinen.
»Ich mache das nicht zu meinem Vergnügen, das können Sie mir glauben, Marcia«, erwidert der Geist ebenso mürrisch. »Ich wollte zu Ihnen. Wie Sie gewünscht haben.«
»Wie ich gewünscht habe?«, fragt Marcia verwirrt. Sie ist noch ganz benommen von ihrem Albtraum von Verlies Nummer Eins, einem Albtraum, der sie jedes Mal quält, wenn ein Gewitter den Zaubererturm umtost.
»Sie haben mich doch gebeten – mir befohlen, wäre der treffendere Ausdruck –, Tertius Fume aufzuspüren und Ihnen sofort Bescheid zu geben, wenn ich ihn gefunden habe«, antwortet Alther.
Mit einem Schlag ist Marcia hellwach. »Ach ja«, sagt sie.
»Allerdings, Marcia.«
»Dann haben Sie ihn also gefunden?«
Der Geist sieht sie sehr selbstzufrieden an. »Jawohl.«
»Wo?«
»Raten Sie mal!«
Marcia schlägt die Decke zurück, hüpft aus dem Bett und wickelt sich in ihren dicken wollenen Morgenrock – bei stürmischem Wetter wird es oben im Zaubererturm empfindlich kalt.
»Du lieber Himmel, Alther«, stöhnt sie und schlüpft in die mit Kaninchenfell gefütterten lila Pantoffeln, die ihr Septimus zum Geburtstag geschenkt hat. »Wenn ich es erraten könnte, hätte ich Sie wohl kaum um Hilfe gebeten!«
»Er ist in Verlies Nummer Eins«, sagt Alther leise.
Marcia plumpst auf ihr Bett zurück. »Oh«, macht sie, und ihr Albtraum zieht noch einmal mit doppelter Geschwindigkeit vor ihrem inneren Auge vorüber. »Mist!«
Zehn Minuten später kann man zwei lila gekleidete Gestalten hintereinander die Zaubererallee entlanghuschen sehen. Beide versuchen, dem Regen zu entgehen, der beinahe waagrecht durch die Allee peitscht, die vordere Gestalt passiert und die hintere durchnässt. Plötzlich biegt die erste Gestalt in eine schmale Gasse ab, dicht gefolgt von der zweiten. Die Gasse
Weitere Kostenlose Bücher