Ecce Homo
Einsamkeit.
Mein Glück im Schenken erstarb im Schenken, meine Tugend wurde ihrer selber müde an ihrem Überflusse!
Wer immer schenkt, dessen Gefahr ist, dass er die Scham verliere; wer immer austheilt, dessen Hand und Herz hat Schwielen vor lauter Austheilen.
Mein Auge quillt nicht mehr über vor der Scham der Bittenden; meine Hand wurde zu hart für das Zittern gefüllter Hände.
Wohin kam die Thräne meinem Auge und der Flaum meinem Herzen? Oh Einsamkeit aller Schenkenden! Oh Schweigsamkeit aller Leuchtenden!
Viel Sonnen kreisen im öden Raume: zu Allem, was dunkel ist, reden sie mit ihrem Lichte mir schweigen sie.
Oh dies ist die Feindschaft des Lichts gegen Leuchtendes: erbarmungslos wandelt es seine Bahnen.
Unbillig gegen Leuchtendes im tiefsten Herzen, kalt gegen Sonnen also wandelt jede Sonne.
Einem Sturme gleich wandeln die Sonnen ihre Bahnen, ihrem unerbittlichen Willen folgen sie, das ist ihre Kälte.
Oh ihr erst seid es, ihr Dunklen, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem! Oh ihr erst trinkt euch Milch und Labsal aus des Lichtes Eutern!
Ach, Eis ist um mich, meine Hand verbrennt sich an Eisigem! Ach, Durst ist in mir, der schmachtet nach eurem Durste.
Nacht ist es: ach dass ich Licht sein muss! Und Durst nach Nächtigem! Und Einsamkeit!
Nacht ist es: nun bricht wie ein Born aus mir mein Verlangen, nach Rede verlangt mich.
Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
Nacht ist es: nun erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden. -
8.
Dergleichen ist nie gedichtet, nie gefühlt, nie gelitten worden: so leidet ein Gott, ein Dionysos. Die Antwort auf einen solchen Dithyrambus der Sonnen-Vereinsamung im Lichte wäre Ariadne ... Wer weiss ausser mir, was Ariadne ist! ... Von allen solchen Räthseln hatte Niemand bisher die Lösung, ich zweifle, dass je jemand auch hier nur Räthsel sah. Zarathustra bestimmt einmal, mit Strenge, seine Aufgabe es ist auch die meine -, dass man sich über den Sinn nicht vergreifen kann: er ist ja sagend bis zur Rechtfertigung, bis zur Erlösung auch alles Vergangenen.
Ich wandle unter Menschen als unter Bruchstücken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.
Und das ist all mein Dichten und Trachten, dass ich in Eins dichte und zusammentrage, was Bruchstück ist und Räthsel und grauser Zufall.
Und wie ertrüge ich es Mensch zu sein, wenn der Mensch nicht auch Dichter und Räthselrather und Erlöser des Zufalls wäre?
Die Vergangnen zu erlösen und alles "Es war" umzuschaffen in ein "So wollte ich es!" das hiesse mir erst Erlösung.
An einer andren Stelle bestimmt er so streng als möglich, was für ihn allein "der Mensch" sein kann kein Gegenstand der Liebe oder gar des Mitleidens auch über den grossen Ekel am Menschen ist Zarathustra Herr geworden: der Mensch ist ihm eine Unform, ein Stoff, ein hässlicher Stein, der des Bildners bedarf.
Nicht-mehr-wollen und Nicht-mehr-schätzen und Nicht-mehr-schaffen: oh dass diese grosse Müdigkeit mir stets ferne bleibe!
Auch im Erkennen fühle ich nur meines Willens Zeuge- und Werdelust; und wenn Unschuld in meiner Erkenntniss ist, so geschieht dies, weil Wille zur Zeugung in ihr ist.
Hinweg von Gott und Göttern lockte mich dieser Wille: was wäre denn zu schaffen, wenn Götter da wären?
Aber zum Menschen treibt er mich stets von Neuem, mein inbrünstiger Schaffens-Wille; so treibt's den Hammer hin zum Steine.
Ach, ihr Menschen, im Steine schläft mir ein Bild, das Bild der Bilder! Ach, dass es im härtesten, hässlichsten Steine schlafen muss!
Nun wüthet mein Hammer grausam gegen sein Gefängniss. Vom Steine stäuben Stücke: was schiert mich das!
Vollenden will ich's, denn ein Schatten kam zu mir, aller Dinge Stillstes und Leichtestes kam einst zu mir!
Des Übermenschen Schönheit kam zu mir als Schatten: was gehen mich noch die Götter an! ...
Ich hebe einen letzten Gesichtspunkt hervor: der unterstrichne Vers giebt den Anlass hierzu. Für eine dionysische Aufgabe gehört die Härte des Hammers, die Lust selbstam Vernichten in entscheidender Weise zu den Vorbedingungen. Der Imperativ "werdet hart!", die unterste Gewissheit darüber, dass alle Schaffenden hart sind, ist das eigentliche Abzeichen einer dionysischen Natur. -
Jenseits von Gut und Böse.
Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.
1.
Die Aufgabe für die nunmehr folgenden Jahre war so streng als möglich
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