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Ecce Homo

Ecce Homo

Titel: Ecce Homo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Wilhelm Nietzsche , Stephen van Doren
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ich war von einer vollkomm    5.
    Abgesehn von diesen Zehn-Tage-Werken waren die Jahre während und vor Allem nach dem Zarathustra ein Nothstand ohne Gleichen. Man büsst es theuer, unsterblich zu sein: man stirbt dafür mehrere Male bei Lebzeiten. Es giebt Etwas, das ich die rancune des Grossen nenne: alles Grosse, ein Werk, eine That, wendet sich, einmal vollbracht, unverzüglich gegen den, der sie that. Ebendamit, dass er sie that, ist er nunmehr schwach er hält seine That nicht mehr aus, er sieht ihr nicht mehr in's Gesicht. Etwas hinter sich zu haben, das man nie wollen durfte, Etwas, worin der Knoten im Schicksal der Menschheit eingeknüpft ist und es nunmehr auf sich haben! ... Es zerdrückt beinahe.. Die rancune des Grossen! Ein Andres ist die schauerliche Stille, die man um sich hört. Die Einsamkeit hat sieben Häute; es geht Nichts mehr hindurch. Man kommt zu Menschen, man begrüsst Freunde: neue Öde, kein Blick grüsst mehr. Im besten Falle eine Art Revolte. Eine solche Revolte erfuhr ich, in sehr verschiednem Grade, aber fast von Jedermann, der mir nahe stand; es scheint, dass Nichts tiefer beleidigt als plötzlich eine Distanz merken zu lassen, die vornehmen Naturen, die nicht zu leben wissen, ohne zu verehren, sind selten. Ein Drittes ist die absurde Reizbarkeit der Haut gegen kleine Stiche, eine Art Hülflosigkeit vor allem Kleinen. Diese scheint mir in der ungeheuren Verschwendung aller Defensiv-Kräfte bedingt, die jede schöpferische That, jede That aus dem Eigensten, Innersten, Untersten heraus zur Voraussetzung hat. Die kleinen Defensiv-Vermögen sind damit gleichsam ausgehängt; es fliesst ihnen keine Kraft mehr zu. Ich wage noch anzudeuten, dass man schlechter verdaut, ungern sich bewegt, den Frostgefühlen, auch dem Misstrauen allzu offen steht, dem Misstrauen, das in vielen Fällen bloss ein ätiologischer Fehlgriff ist. In einem solchen Zustande empfand ich einmal die Nähe einer Kuhheerde, durch Wiederkehr milderer, menschenfreundlicherer Gedanken, noch bevor ich sie sah: das hat Wärme in sich ...
    6.
    Dieses Werk steht durchaus für sich. Lassen wir die Dichter bei Seite: es ist vielleicht überhaupt nie Etwas aus einem gleichen Überfluss von Kraft heraus gethan worden. Mein Begriff "dionysisch" wurde hier höchste That; an ihr gemessen erscheint der ganze Rest von menschlichem Thun als arm und bedingt. Dass ein Goethe, ein Shakespeare nicht einen Augenblick in dieser ungeheuren Leidenschaft und Höhe zu athmen wissen würde, dass Dante, gegen Zarathustra gehalten, bloss ein Gläubiger ist und nicht Einer, der die Wahrheit erst schafft, ein weltregierender Geist, ein Schicksal dass die Dichter des Veda Priester sind und nicht einmal würdig, die Schuhsohlen eines Zarathustra zu lösen, das ist Alles das Wenigste und giebt keinen Begriff von der Distanz, von der azurnen Einsamkeit, in der dies Werk lebt. Zarathustra hat ein ewiges Recht zu sagen: "ich schliesse Kreise um mich und heilige Grenzen; immer Wenigere steigen mit mir auf immer höhere Berge, ich baue ein Gebirge aus immer heiligeren Bergen." Man rechne den Geist und die Güte aller grossen Seelen in Eins: alle zusammen wären nicht im Stande, Eine Rede Zarathustras hervorzubringen. Die Leiter ist ungeheuer, auf der er auf und nieder steigt; er hat weiter gesehn, weiter gewollt, weiter gekonnt, als irgend ein Mensch. Er widerspricht mit jedem Wort, dieser jasagendste aller Geister; in ihm sind alle Gegensätze zu einer neuen Einheit gebunden. Die höchsten und die untersten Kräfte der menschlichen Natur, das Süsseste, Leichtfertigste und Furchtbarste strömt aus Einem Born mit unsterblicher Sicherheit hervor. Man weiss bis dahin nicht, was Höhe, was Tiefe ist; man weiss noch weniger, was Wahrheit ist. Es ist kein Augenblick in dieser Offenbarung der Wahrheit, der schon vorweggenommen, von Einem der Grössten errathen worden wäre. Es giebt keine Weisheit, keine Seelen-Erforschung, keine Kunst zu reden vor Zarathustra; das Nächste, das Alltäglichste redet hier von unerhörten Dingen. Die Sentenz von Leidenschaft zitternd; die Beredsamkeit Musik geworden; Blitze vorausgeschleudert nach bisher unerrathenen Zukünften. . Die mächtigste Kraft zum Gleichniss, die bisher da war, ist arm und Spielerei gegen diese Rückkehr der Sprache zur Natur der Bildlichkeit. Und wie Zarathustra herabsteigt und zu Jedem das Gütigste sagt! Wie er selbst seine Widersacher, die Priester, mit zarten Händen anfasst und

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