Echte Morde
war dann dafür verantwortlich, danach alles wieder so herzurichten, wie wir es vorgefunden hatten und den Schlüssel zurückzubringen.
In diesem Jahr war Marnie Wright als stellvertretende Vereinsvorsitzende die „Schlüsselbeauftragte". Marnie würde auch die Stühle im Halbkreis vor dem Podium aufstellen und den Tisch für die Erfrischungen vorbereiten. Die Erfrischungen brachten wir reihum mit.
Ich war zu früh an diesem Abend. Ich kam fast immer und überall zu früh.
Auf dem Parkplatz, der sich hinter dem Gebäude verbarg und noch dazu hinter einer kleinen, jetzt im Frühjahr allerdings grotesk kahl wirkenden Sichtschutzhecke aus Kreppmyrte lag, standen bereits zwei Autos. Die Bogenlampen auf dem Platz hatten sich bei Einbruch der Dämmerung von selbst eingeschaltet, und ich parkte meine Chevette unter der, die am dichtesten beim Hintereingang zur Halle stand. Wer sich mit Morden beschäftigte, war sich der in der Welt lauernden Gefahren nur allzu bewusst.
Ich trat ein. Mit einem Knall fiel die schwere Metalltür hinter mir zu. Hier gab es nur fünf Räume. Links von mir führte eine Tür zum großen Hauptraum, in dem wir unsere Zusammenkünfte abhielten. Rechts führten vier Türen in ein kleines Konferenzzimmer, in die Herrentoilette, die Damentoilette und in eine Teeküche, die ganz am hinteren Ende des Eingangsbereichs lag. Keine der Türen stand offen. Das war immer so. Sie zu öffnen und festzustellen verlangte mehr Kraft und Zähigkeit, als einer von uns aufzubringen vermochte, und wir waren uns einig, dass die Veteranen ihre Halle so erbaut hatten, damit sie auch feindliche Angriffe überstehen würde. Die schweren Türen sorgten dafür, dass es in dem kleinen Bauwerk immer sehr still war. Ich hörte nichts, obwohl ich aufgrund der beiden Fahrzeuge draußen doch wusste, dass sich außer mir noch mindestens zwei Personen im Haus aufhielten.
All die fest verschlossenen Türen in dem leeren, schlichten Korridor konnten einen tendenziell schon nervös machen. Man fühlte sich wie in einem kleinen, beigefarbenen Tunnel, dessen Eintönigkeit nur von dem Münztelefon unterbrochen wurde, das an der einen Wand hing. Sollte dieses Telefon einmal klingeln, hatte ich irgendwann einmal zu Bankston Waites gesagt, dann würde ich fest damit rechnen, dass mir Rod Serling am anderen Ende ins Ohr flüsterte, ich hätte gerade die Twilight Zone betreten. Rod Serling! Ich musste grinsen, als ich an dieses Gespräch dachte, und streckte die Hand nach dem Griff der Tür zum großen Versammlungsraum aus.
Da klingelte das Telefon. Erschrocken fuhr ich herum. Das Herz schlug mir laut in der Brust, als ich zögernd ein, zwei Schritte auf den Apparat zuging. In dem stillen kleinen Gebäude rührte sich immer noch nichts.
Bis auf das Telefon. Es klingelte erneut. Immer noch zögernd legte ich meine Hand um den Hörer.
„Hallo?", wisperte ich heiser, räusperte mich und meldete mich noch einmal, diesmal mit festerer Stimme. „Hallo!"
„Könnte ich bitte Julia Wallace sprechen?", fragte am anderen Ende eine raue Flüsterstimme.
Mir zog sich die Kopfhaut zusammen. „Wie bitte?", fragte ich mit zittriger Stimme zurück.
„Julia ...", flüsterte der Anrufer. Dann legte er auf.
Ich starrte immer noch hilflos auf den Hörer in meiner Hand, als die Tür der Damentoilette aufging und Sally Allison herauskam.
Woraufhin ich einen lauten Schrei ausstieß.
„Mein Gott, Roe! Sehe ich echt so fürchterlich aus?", fragte Sally verwundert.
„Nein! Nein, es war der Anruf ..." Um ein Haar hätte ich losgeweint, was mir sehr unangenehm war. Sally arbeitete für Lawrencetons Zeitung. Sie war eine gute Reporterin, eine konservative, intelligente Frau Ende vierzig, Überlebende einer Teenagerehe — sie und ihr Exmann waren von zu Hause fortgelaufen, um heiraten zu können -, die mit der Geburt des ihr entstammenden Kindes ihr Ende gefunden hatte. Ich war mit dem Kind, einem Jungen namens Perry, zur Schule gegangen und arbeitete jetzt mit ihm in der städtischen Leihbücherei.
Perry mochte ich nicht, Sally dafür umso mehr, auch wenn mich ihre journalistische Neugier manchmal ganz schön ins Schwitzen brachte. Unter anderem wegen Sally hatte ich mein Referat über den Mordfall Wallace so gründlich vorbereitet.
Auch jetzt wusste Sally genau, welche Fragen sie zu stellen hatte, um alles Wissenswerte über den Anruf aus mir herauszuholen, und sie konnte auch gleich mit einer logischen Schlussfolgerung aufwarten: Bei dem Anruf
Weitere Kostenlose Bücher