Effi Briest
das heißt ja deutlich Berlin.«
»Freilich«, lachte Innstetten. »Du tust, als ob es ein Wunder wäre. Die Mama wird in Berlin sein und hat ihrem Liebling von ihrem Hotel aus einen Brief geschrieben.«
»Ja«, sagte Effi, »so wird es sein. Aber ich ängstige mich doch beinah und kann keinen rechten Trost darin finden, daß Hulda Niemeyer immer sagte: ›Wenn man sich ängstigt, ist es besser, als wenn man hofft.‹ Was meinst du dazu?«
»Für eine Pastorstochter nicht ganz auf der Höhe. Aber nun lies den Brief. Hier ist ein Papiermesser.«
Effi schnitt das Couvert auf und las: »Meine liebe Effi. Seit 24 Stunden bin ich hier in Berlin; Konsultationen bei Schweigger. Als er mich sieht, beglückwünscht er mich, und als ich erstaunt ihn frage, wozu, erfahr ich, daß Ministerialdirektor Wüllersdorf eben bei ihm gewesen und ihm erzählt habe: Innstetten sei ins Ministerium berufen. Ich bin ein wenig ärgerlich, daß man dergleichen von einem Dritten erfahren muß. Aber in meinem Stolz und meiner Freude sei Euch verziehen. Ich habe es übrigens immer gewußt (schon als 1. noch bei den Rathenowern war), daß etwas aus ihm werden würde. Nun kommt es
Dir
zugute. Natürlich müßt Ihr eine Wohnung haben und eine andere Einrichtung. Wenn du, meine liebe Effi, glaubst, meines Rates dabei bedürfen zu können, so komme, so rasch es Dir Deine Zeit erlaubt. Ich bleibe acht Tage hier in Kur, und wenn es nicht anschlägt, vielleicht noch etwas länger; Schweigger drückt sich unbestimmt darüber aus. Ich habe eine Privatwohnung in der Schadowstraße genommen; neben dem meinigen sind noch Zimmer frei. Was es mit meinem Auge ist, darüber mündlich; vorläufig beschäftigt mich nur Eure Zukunft. Briest wird unendlich glücklich sein, er tut immer so gleichgültig gegen dergleichen, eigentlich hängt er aber mehr daran als ich. Grüße Innstetten, küsse Annie, die Du vielleicht mitbringst. Wie immer Deine Dich zärtlich liebende Mutter
Luise von B.«
Effi legte den Brief aus der Hand und sagte nichts. Was sie zu tun habe, das stand bei ihr fest; aber sie wollte es nicht selber aussprechen, Innstetten sollte damit kommen, und dann wollte sie zögernd ja sagen.
Innstetten ging auch wirklich in die Falle. »Nun, Effi, du bleibst so ruhig.«
»Ach, Geert, es hat alles so seine zwei Seiten. Auf der einen Seite beglückt es mich, die Mama wiederzusehen und vielleicht sogar schon in wenig Tagen. Aber es spricht auch so vieles dagegen.«
»Was?«
»Die Mama, wie du weißt, ist sehr bestimmt und kennt nur ihren eignen Willen. Dem Papa gegenüber hat sie alles durchsetzen können. Aber ich möchte gern eine Wohnung haben, die nach
meinem
Geschmack ist, und eine neue Einrichtung, die
mir
gefällt.«
Innstetten lachte. »Und das ist alles?«
»Nun, es wäre grade genug. Aber es ist nicht alles.« Und nun nahm sie sich zusammen und sah ihn an und sagte: »Und dann, Geert, ich möchte nicht gleich wieder von dir fort.«
»Schelm, das sagst du so, weil du meine Schwäche kennst. Aber wir sind alle so eitel, und ich will es glauben. Ich will es glauben und doch zugleich auch den Heroischen spielen, den Entsagenden. Reise, sobald du's für nötig hältst und vor deinem Herzen verantworten kannst.«
»So darfst du nicht sprechen, Geert. Was heißt das, ›vor meinem Herzen verantworten‹. Damit schiebst du mir, halb gewaltsam, eine Zärtlichkeitsrolle zu, und ich muß dir dann aus reiner Koketterie sagen: ›Ach, Geert, dann reise ich nie.‹ Oder doch so etwas Ähnliches.«
Innstetten drohte ihr mit dem Finger. »Effi, du bist mir zu fein. Ich dachte immer, du wärst ein Kind, und sehe nun, daß du das Maß hast wie alle andern. Aber lassen wir das, oder wie dein Papa immer sagte: ›Das ist ein zu weites Feld.‹ Sage lieber, wann willst du fort?«
»Heute haben wir Dienstag. Sagen wir also Freitag mittag mit dem Schiff. Dann bin ich am Abend in Berlin.«
»Abgemacht. Und wann zurück?«
»Nun, sagen wir Montag abend. Das sind dann drei Tage.«
»Geht nicht. Das ist zu früh. In drei Tagen kannst du's nicht zwingen. Und so rasch läßt dich die Mama auch nicht fort.«
»Also auf Diskretion.«
»Gut.«
Und damit erhob sich Innstetten, um nach dem Landratsamte hinüberzugehen.
Die Tage bis zur Abreise vergingen wie im Fluge. Roswitha war sehr glücklich. »Ach, gnädigste Frau, Kessin, nun ja... aber Berlin ist es nicht. Und die Pferdebahn. Und wenn es dann so klingelt und man nicht weiß, ob man links oder rechts
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