Effi Briest
Tiergartenstraße hinunter flog die Droschke, und nun hielt sie vor der neuen Wohnung.
Oben standen die den Tag vorher eingetroffenen Sachen noch bunt durcheinander, aber es störte sie nicht, und als sie auf den breiten aufgemauerten Balkon hinaustrat, lag jenseits der Kanalbrücke der Tiergarten vor ihr, dessen Bäume schon überall einen grünen Schimmer zeigten. Darüber aber ein klarer blauer Himmel und eine lachende Sonne.
Sie zitterte vor Erregung und atmete hoch auf. Dann trat sie, vom Balkon her, wieder über die Türschwelle zurück, erhob den Blick und faltete die Hände.
»Nun, mit Gott, ein neues Leben! Es soll anders werden.«
Vierundzwanzigstes Kapitel
Drei Tage danach, ziemlich spät, um die neunte Stunde, traf Innstetten in Berlin ein. Alles war am Bahnhof, Effi, die Mama, der Vetter; der Empfang war herzlich, am herzlichsten von seiten Effis, und man hatte bereits eine Welt von Dingen durchgesprochen, als der Wagen, den man genommen, vor der neuen Wohnung in der Keithstraße hielt. »Ach, da hast du gut gewählt, Effi«, sagte Innstetten, als er in das Vestibül eintrat, »kein Haifisch, kein Krokodil und hoffentlich auch kein Spuk.«
»Nein, Geert, damit ist es nun vorbei. Nun bricht eine andere Zeit an, und ich fürchte mich nicht mehr und will auch besser sein als früher und dir mehr zu Willen leben.« Alles das flüsterte sie ihm zu, während sie die teppichbedeckte Treppe bis in den zweiten Stock hinanstiegen. Der Vetter führte die Mama.
Oben fehlte noch manches, aber für einen wohnlichen Eindruck war doch gesorgt, und Innstetten sprach seine Freude darüber aus. »Effi, du bist doch ein kleines Genie«, aber diese lehnte das Lob ab und zeigte auf die Mama, die habe das eigentliche Verdienst. »Hier muß es stehen«, so hab es unerbittlich geheißen, und immer habe sie's getroffen, wodurch natürlich viel Zeit gespart und die gute Laune nie gestört worden sei. Zuletzt kam auch Roswitha, um den Herrn zu begrüßen, bei welcher Gelegenheit sie sagte: »Fräulein Annie ließe sich für heute entschuldigen« – ein kleiner Witz, auf den sie stolz war und mit dem sie auch ihren Zweck vollkommen erreichte.
Und nun nahmen sie Platz um den schon gedeckten Tisch, und als Innstetten sich ein Glas Wein eingeschenkt und »auf glückliche Tage« mit allen angestoßen hatte, nahm er Effis Hand und sagte: »Aber Effi, nun erzähle mir, was war das mit deiner Krankheit?«
»Ach, lassen wir doch das, nicht der Rede wert; ein bißchen schmerzhaft und eine rechte Störung, weil es einen Strich durch unsere Pläne machte. Aber mehr war es nicht, und nun ist es vorbei. Rummschüttel hat sich bewährt, ein feiner, liebenswürdiger alter Herr, wie ich dir, glaub ich, schon schrieb. In seiner Wissenschaft soll er nicht gerade glänzen, aber Mama sagt, das sei ein Vorzug. Und sie wird wohl recht haben wie in allen Stücken. Unser guter Doktor Hannemann war auch kein Licht und traf es doch immer. Und nun sage, was macht Gieshübler und die anderen alle?«
»Ja, wer sind die anderen alle? Campas läßt sich der gnäd'gen Frau empfehlen ...«
»Ah, sehr artig.«
»Und der Pastor will dir desgleichen empfohlen sein; nur die Herrschaften auf dem Lande waren ziemlich nüchtern und schienen auch mich für deinen Abschied ohne Abschied verantwortlich machen zu wollen. Unsere Freundin Sidonie war sogar spitz, und nur die gute Frau von Padden, zu der ich eigens vorgestern noch hinüberfuhr, freute sich aufrichtig über deinen Gruß und deine Liebeserklärung an sie. ›Du seist eine reizende Frau‹, sagte sie, ›aber ich sollte dich gut hüten.‹ Und als ich ihr erwiderte: ›Du fändest schon, daß ich mehr ein »Erzieher« als ein Ehemann sei‹, sagte sie halblaut und beinahe wie abwesend: ›Ein junges Lämmchen weiß wie Schnee.‹ Und dann brach sie ab.«
Vetter Briest lachte. »›Ein junges Lämmchen weiß wie Schnee...‹ Da hörst du's, Cousine.« Und er wollte sie zu necken fortfahren, gab es aber auf, als er sah, daß sie sich verfärbte.
Das Gespräch, das meist zurückliegende Verhältnisse berührte, spann sich noch eine Weile weiter, und Effi erfuhr zuletzt aus diesem und jenem, was Innstetten mitteilte, daß sich von dem ganzen Kessiner Hausstande nur Johanna bereit erklärt habe, die Übersiedelung nach Berlin mitzumachen. Sie sei natürlich noch zurückgeblieben, werde aber in zwei, drei Tagen mit dem Rest der Sachen eintreffen; er sei froh über ihren Entschluß, denn sie sei
Weitere Kostenlose Bücher