Egeland, Tom
Schüler sind zu einer Masse ohne Identität geworden, und in Anbetracht dieses Schwarms akademischer Gleichheit hat der Professor eine ungeduldige Art von Verärgerung entwickelt. Das Erbe seines Vaters hat ihn reich gemacht und ein bisschen arrogant. Nur wenige Studenten mögen ihn. Seine Untergebenen tuscheln hinter seinem Rücken. Es fällt mir nicht schwer, sie zu verstehen. Ich habe ihn nie gemocht. Wir alle haben unsere Gründe.
Ich komme genau zur nachmittäglichen Stoßzeit in Oslo an. Der Sommer ist in vollem Gange. Es ist schwül, die Luft voller Dampf.
Mit den Fingern auf das Lenkrad trommelnd, frage ich mich, wo die anderen alle hinwollen. Wer sie sind. Was sie hier verloren haben. Zum Teufel mit ihnen! Ich sehe auf die Uhr und wische mir den Schweiß von der Stirn. Ich will die Straße für mich allein haben! Das wollen wir alle. Jeder von uns leidet unter dem kollektiven Autowahn. Nur dass wir das selbst nicht wissen. Das ist es, was die Verrückten auszeichnet.
∗ ∗ ∗
P rofessor Arntzens Tür ist geschlossen. Jemand hat sechs der Buchstaben aus dem Namensschild neben der Tür genommen. Mit kindlicher Faszination bleibe ich stehen und lese Pro es or ygve Ar zen. Es sieht aus wie eine tibetanische Beschwörung.
Als ich anklopfen will, höre ich Stimmen in seinem Büro. Dann muss ich eben warten. Ich schlendere zum Fenster. Der Rahmen ist verstaubt. Unten auf der Straße stauen sich die Autos vor der Ampel, Fußgänger quälen sich mit langsamen Bewegungen durch die Hitze. Der Parkplatz der Angestellten hinter dem Museum ist nur spärlich belegt.
Ich muss unaufmerksam gewesen sein, als ich Bolla geparkt habe. Das ist nicht typisch für mich. Aber von oben sehe ich es. So muss es für unseren Herrgott sein: immer den vollen Überblick. Zwischen dem dunkelgrauen M ercedes 190 des Professors und einem violetten Saab 900 Turbo steht ein burgunderfarbener Jaguar XJ 6.
∗ ∗ ∗
V orsichtig lege ich mein Ohr an die Tür.
» – precautions! « , sagt eine Stimme. Professor Arntzen.
Er spricht englisch. Seine Stimme klingt unterwürfig. Um so zu klingen, muss er es schon mit einem wichtigen Mann zu tun haben.
Ich ahne, mit wem.
Eine Stimme murmelt etwas, was ich nicht verstehe. Es ist Ian.
Arntzen: » Wann kommt er? «
» Morgen früh «, antwortet eine tiefe Stimme. Professor Llyleworth.
Das hatte ich mir gedacht.
Arntzen: » Er kommt persönlich? «
Llyleworth: » Natürlich. Aber er ist zu Hause. Das Flugzeug wird gerade überholt. Sonst würde er schon heute Abend kommen. «
Ian (lachend): » Er ist verdammt ungeduldig und aufgeregt. «
Llyleworth: » Welch Wunder! «
Arntzen: » Hat er vor, ihn selbst außer Landes zu bringen? «
Llyleworth: » Natürlich. Via London. Morgen. «
Ian: » Ich bin noch immer der Meinung, wir sollten ihn mit ins Hotel nehmen. Bis er kommt. Der Gedanke, ihn hier zu lassen, gefällt mir gar nicht. «
Llyleworth: » Nein-nein-nein. Denk doch mal taktisch! Bei uns wird die Polizei suchen. Wenn der Albino wirklich so einen Unsinn anstellt. «
Arntzen: » Bjørn? … (Gelächter) … Entspannt euch! Mit Bjørn komme ich schon zurecht. «
Ian: » Sollten wir nicht trotzdem …? «
Llyleworth: » Der Schrein ist hier beim Professor am sichersten. Trotz allem. «
Arntzen: » Niemand wird hier bei mir suchen. Das kann ich garantieren! «
Llyleworth: » Es ist am besten so. «
Ian: » Wenn du meinst. «
Llyleworth: » Ich bin mir sicher. «
Es wird still.
Arntzen: » Er hatte also Recht. Die ganze Zeit über … hatte er Recht. «
Llyleworth: » Wer? «
Arntzen: » DeWitt. «
Llyleworth ist still, ehe er antwortet: » Der gute alte Charles. «
Arntzen: » Er hatte die ganze Zeit über Recht. Das ist doch Ironie des Schicksals, oder? «
Llyleworth: » Er sollte jetzt hier sein. Na ja. Jedenfalls haben wir ihn endlich gefunden! «
In der Stimme schwingen Aufbruch und Abschied mit.
Ich zucke zusammen und haste von der Tür weg. Auf den Zehenspitzen schleiche ich über den Flur.
Auf dem blauen Schild neben der Tür meines Büros steht in weißen Plastikbuchstaben Dr. Bjørn Beltø, Wissenschaftlicher Mitarbeiter. Die schrägen Buchstaben erinnern an ein Gebiss, das ein wenig korrigiert werden sollte.
Ich schließe auf, schlüpfe hinein und ziehe den grünen, wackligen Bürostuhl ans Fenster. Von hier aus kann ich den Jaguar beobachten.
Es geschieht nicht viel. Der Verkehr fließt in langsamem Strom vorbei. Ein Rettungswagen heult und klagt
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