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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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Ferne waren Musikkapellen, Hurrarufe und Chinakracher zu hören. In der Woche darauf wurde ein weiteres Mädchen vergewaltigt. Es gab einige Artikel in den Zeitungen. Zwei Tage später steckte jemand das trockene Gras der Koppel an. Das war nichts Ungewöhnliches. Die Kinder der Nachbarschaft machten hier öfter ihre Lagerfeuer. Doch dieses Mal stand keine Kinderschar bereit, um den Brand zu löschen. Das Feuer rasierte die Koppel und Teile des Waldes und hinterließ eine verkohlte, qualmende Wüste. Vollkommen ungeeignet f ü r Vergewaltigungen. Man sah darin einen Zusammenhang.
    In der Schule redeten wir wochenlang darüber. Die Polizei untersuchte den Fall. Wir gaben dem Brandstifter Spitznamen.
    » Verrückter Pyromane «, » König der Flammen «, » Rächer «.
    Bis heute weiß niemand, dass ich es war, der das Feuer gelegt hatte.
    ∗ ∗ ∗
    E s gibt viele Orte, an denen der Professor den Schrein versteckt haben kann. Die meisten schließe ich von vornherein aus. Ich weiß, wie er denkt.
    Er kann ins Hauptmagazin gegangen sein. Er kann den Schrein in einem der feuerfesten Eisenschränke eingeschlossen haben. Aber das hat er nicht getan. Wir alle haben Zugang zum Magazin. Er will den Schrein mit niemandem teilen.
    Es ist ein Paradoxon dieses Lebens, dass wir blind sind für das, was am deutlichsten sichtbar ist. So denkt der Professor.
    Er weiß, dass er am wenigsten riskiert, wenn er scheinbar risikoreich handelt. Willst du ein Buch verstecken, so stelle es ins Regal.
    Er hat den Schrein in seinem Büro versteckt. In einem verschlossenen Schrank. Hinter ein paar Kartons oder Aktenordnern. Ich kann es vor mir sehen. Meine Intuition ist treffsicher. In meinem Kopf kann ich Bilder heraufbeschwören, die so deutlich sind wie auf einer Kinoleinwand. Diese Fähigkeit habe ich von Großmutter geerbt.
    Der Professor hat seine Bürotür abgeschlossen. Das spielt keine Rolle. Als er 1996 eine Ausgrabung in der Telemark leitete, hat er mir den Schlüssel anvertraut, was er allerdings vergessen hat. Wie so vieles andere auch.
    Sein Büro ist doppelt so groß wie meins. Und entschieden herrschaftlicher. Mitten im Raum thront der Schreibtisch auf dem Imitat eines persischen Teppichs. Auf der Platte stehen ein Computer, das Telefon und ein Behälter mit Büroklammern, den mein Halbbruder im Werkunterricht gemacht hat. Sein Schreibtischstuhl hat eine hohe Rückenlehne und eine hydraulische Federung. An der Wand steht das Tischchen, an dem er mit seinen Gästen Kaffee trinkt. Auf der gegenüberliegenden Seite beugt sich ein Regal all dem darin angehäuften Wissen.
    Ich setze mich auf den Bürostuhl, der das Gewicht meines Körpers mit weicher, federnder Freundlichkeit empfängt. Der strenge Geruch von Llyleworths Zigarre hängt noch in der Luft.
    Ich schließe die Augen und starre in mich hinein. In meine Intuition. So bleibe ich ein paar Minuten sitzen. Dann öffne ich die Augen wieder.
    Mein Blick fällt auf den Archivschrank. Ein grauer Aluminiumschrank mit drei Schubladen und einem Schloss ganz oben. Ich gehe hinüber und versuche, die oberste Schublade zu öffnen.
    Verschlossen. Natürlich.
    Mit einer Schere oder einem Schraubenzieher könnte ich sie aufbrechen. Ich glaube aber nicht, dass das nötig ist.
    Unter den Büroklammern in dem Behälter auf dem Schreibtisch finde ich den Schlüssel. Der Professor hat überall seine Ersatzschlüssel herumliegen. An der Spiralfeder der Schreibtischlampe hängt der Ersatzschlüssel für den Mercedes und die Villa.
    Ich schließe auf und öffne die oberste Schublade. Die grünen Hängeordner sind voller Dokumente, Briefe und Verträge. In der mittleren Schublade finde ich alphabetisch und thematisch geordnete Zeitungsausschnitte aus internationalen Zeitschriften.
    Der Schrein liegt ganz hinten in der untersten Schublade. Hinter den Hängeordnern. In ein Leintuch gewickelt. In einer Plastiktüte von » Lorentzen «. Die sich wiederum in einer grau gestreiften Einkaufstasche befindet. Unter einem Stapel Bücher.
    Mit der Tasche unter dem Arm räume ich wieder auf. Ich schiebe die Schublade zu und verschließe den Archivschrank. Lege den Schlüssel unter die Büroklammern. Schiebe den Stuhl an den Schreibtisch. Dann sehe ich mich ein letztes Mal um –ist alles, wie es sein soll? Nichts vergessen? –, ehe ich nach draußen auf den Flur schlüpfe und die Tür hinter mir ins Schloss fallen lasse. Der Flur ist dunkel und endlos. Ich blicke in beide Richtungen, dann setze ich mich in

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