Ehrenhüter
Sekunden später stieg er neben seine überraschte Frau in die Dusche und ließ sich heißes Wasser über Schulter und Rücken laufen.
Als Steenhoff am späten Vormittag vom Hof fuhr, hätte er viel dafür gegeben, diesen trüben Oktobersonntag weiter mit Ira zu verbringen. Aber er musste dringend Roman vernehmen. Sie mussten wissen, warum er ihnen die SMS verschwiegen hatte, in der Nilgün mit ihm Schluss machte, und was diese Tatsache mit Nilgüns Tod zu tun hatte.
Eine halbe Stunde später ging er mit Navideh Petersen unter der schief gewachsenen Magnolie hindurch und klingelte an der Haustür der Rodewaldts. Steenhoff hörte, wie jemand im Haus «Moment, bitte» rief. Dann passierte erst einmal minutenlang nichts. Petersen und Steenhoff sahen sich verwundert an.
Steenhoff wollte gerade ein zweites Mal klingeln, als Cornelia Rodewaldt die Haustür öffnete. Sie trug einen Bademantel und hatte sich ein Handtuch um die nassen Haare gewickelt.
«Entschuldigung, ich war gerade im Bad.» Sie lächelte die beiden Beamten an, aber Steenhoff spürte, dass sie nicht vorhatte, sie hereinzubitten.
«Tut mir leid, wenn wir schon wieder stören. Aber wir müssen unbedingt mit Roman sprechen. Ist er zu Hause?»
«Nein. Er ist mit meinem Mann unterwegs.»
«Wann wird er wieder hier sein?»
«Wenn alles gutgeht, erst wieder zu Weihnachten», erwiderte sie.
«Was soll das denn heißen?», mischte sich Petersen ein.
«Wir haben ein Internat am Bodensee ausgesucht, wo er voraussichtlich das nächste Schuljahr verbringen wird. Mein Mann und Roman sind gestern runtergefahren, um es sich anzuschauen. Unser Sohn ist völlig durcheinander. Er braucht Abstand von all dem, was in den vergangenen Tagen passiert ist.»
Sie hielt mit einer Hand ihren Turban fest, der von den nassen Haaren zu rutschen drohte. Bevor Steenhoff etwas erwidern konnte, fuhr sie schroff fort: «Vor allem erscheint es uns dort sicherer als in Bremen. Schließlich haben Sie und Ihre Leute ja wohl nicht vor, ihn rund um die Uhr vor dieser verrückten Familie zu beschützen.» Sie versuchte ein Lächeln, aber ihre Augen verrieten, wie empört sie war.
«Roman wird vorerst nicht die Schule am Bodensee besuchen», sagte Steenhoff mit fester Stimme.
«So, und wer sollte uns daran hindern, ihn dort anzumelden?»
«Ich fürchte, ich werde Sie daran hindern müssen, Frau Rodewaldt.»
«Da bin ich ja gespannt, mit welcher Begründung Sie sich derart in unser Leben einzumischen gedenken.»
Steenhoff und Petersen sahen sich kurz an. Dann entschied sich Steenhoff, die Frau mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. «Roman gehört seit gestern zum Kreis der Verdächtigen.»
Frau Rodewaldt sah die beiden Beamten verständnislos an. Sie versuchte ein amüsiertes Lächeln, aber es entglitt ihr. Stattdessen spiegelten ihre Gesichtszüge die nackte Angst um ihren Sohn wider.
«Ich denke, wir sollten das nicht im Hauseingang besprechen», sagte Steenhoff ruhig.
Cornelia Rodewaldt zögerte kurz, dann stieß sie die Tür auf und machte den beiden ein Zeichen, schon einmal ohne sie ins Wohnzimmer vorzugehen.
«Sie kennen sich hier ja inzwischen aus», sagte sie in einem Ton, der ihre Gereiztheit nicht mehr verbergen sollte. «Ich ziehe mir nur kurz etwas an.»
Steenhoff öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Petersen,die direkt hinter ihm ging, wirkte ungehalten. «Ich finde, das war nicht geschickt, sie vorzuwarnen. Jetzt wird sie Roman sofort auf die Nase binden, was wir wissen», sagte sie vorwurfsvoll.
«Roman hat damit gerechnet. Er wusste genau, warum er mir das Handy nicht geben wollte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann wir hier auftauchen würden.»
«Ich verstehe nicht, warum er die Nachricht nicht gelöscht oder sein Handy weggeworfen hat!»
«Von solchen Fehlern leben wir», erwiderte Steenhoff. Aber er hatte sich dieselbe Frage auch schon gestellt. Hatte Roman sich von Nilgüns vielen Kurznachrichten einfach nicht trennen können? Oder hatte er sich so sicher gefühlt, dass er nicht daran gedacht hatte, sein Handy zu vernichten?
Im selben Moment stand Cornelia Rodewaldt in der Tür. Sie wirkte aufgewühlt. Die Haare hingen nass und unfrisiert auf die Schulter. Sie trug einen Cashmerepullover und eine schwarze Leinenhose, dazu passende schwarze Schuhe. Selbst in dieser Situation und ohne Make-up bewies sie Stil. Navideh konnte nicht umhin, die Frau dafür zu bewundern.
«Eigentlich sollte ich nach dieser ungeheuren Äußerung ohne unseren Anwalt kein Wort
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