Ein altes Haus am Hudson River
ihm übel, dass er es ihr nicht sofort gesagt hatte – fand ihn vielleicht grausam und gefühllos. Aber warum? Das alles gehörte zu einer anderen Welt, fast zu einem anderen Leben, das sein Verstand nicht mit dem in Verbindung bringen wollte, was er und Halo gemeinsam hatten. Aber wie sollte er ihr das erklären, wenn sie nicht selbst den Unterschied zwischen jenem Schattenreich und dieser glühenden Wirklichkeit empfand?
« Vance – Vance – du hättest es mir sagen sollen», schluchzte sie vorwurfsvoll.
« Ich weiß», sagte er.«Ich wollte es ja …»
« Was wirst du von mir denken? Wie konntest du mich die ganze Zeit so daherreden lassen?»
« Ich habe so gern deiner Stimme zugehört …»
« Nicht – sag jetzt nicht solche Sachen!»Sie brach ab und fragte flüsternd:«Wie lange ist es her?»
Mühsam versuchte er sich zu erinnern.«Gestern vor einer Woche.»
« Erst vor einer Woche – was musst du von mir denken?»
« Bitte, nicht weinen», bat er.
« O Vance, kannst du mir jemals verzeihen? Es ist so schrecklich – aber woher hätte ich es wissen sollen?»
« Du konntest es nicht wissen.»
« Ach, arme kleine Laura Lou! Das werde ich mir nie verzeihen – aber du, verzeihst du mir denn?»
Seltsam, er musste ihr gut zureden wie einem Kind. Es war fast, als versuchte er Laura Lou zur Vernunft zu bringen. Er musste die gleiche Geduld aufbringen, es war, als säße er auf dem Boden und tröstete ein Kind, das sich wehgetan hatte … Und als er schließlich ihren Arm nahm und neben ihr in der Dunkelheit zu der Stelle ging, wo sie das Auto hatte stehen lassen, überlegte er, ob sich in den entscheidenden Augenblicken wohl immer ein Schleier aus Unwirklichkeit zwischen ihn und den ihm liebsten Menschen senken würde, ob sich ein Schöpfer erdachter Wesen unter den wirklichen immer einsam fühlen musste.
NACHWORT
Als Edith Wharton am 11. August 1937 in Pavillon Colombe bei Paris starb, galt sie nicht nur als grande dame der amerikanischen Literatur, sondern stand auch im Ruf, die literarische Erbin von Henry James gewesen zu sein. Sie hatte James 1903 kennengelernt und ihn im ersten Jahr ihres Frankreichaufenthalts, 1907, mit ihrem Automobil, einem Panhard mit offenem Verdeck, durch ihre neue Wahlheimat chauffiert. Dreißig ihrer fünfundsiebzig Lebensjahre verbrachte sie in Frankreich, Paris wurde zum Ort ihrer Emanzipation. Vor dem Umzug hatte sie sich von ihrem Mann, Edward Robbins Wharton, getrennt, der an Depressionen litt und Teile ihres Vermögens veruntreut hatte. Sie stürzte sich in Paris in eine Affäre mit Morton Fullerton, einem (was ihr verborgen blieb, bisexuellen) amerikanischen Journalisten, der als Korrespondent für die Londoner Times arbeitete. Sie freundete sich mit André Gide und Paul Valéry an, auch mit der skandalumwitterten Anna de Noailles, nicht aber mit Gertrude Stein und ihrem Kreis (Joyce, Matisse und Picasso), zu dem sie Distanz hielt. Wharton war der Moderne gegenüber aufgeschlossen, brachte jedoch für einen ideologisch vorgetragenen Modernismus kein Verständnis auf. Zeitweise lebte sie nur zwanzig Hausnummern von Rodins«Hôtel Biron»in der Rue de Varenne entfernt, übrigens genau in jenem Jahr (1909), als auch Rilke dort als des Künstlers Privatsekretär wohnte.
Was aber sagen dergleichen von der literarisch interessierten Gesellschaft Amerikas damals genau verfolgte Details über den Menschen aus, die Schriftstellerin Edith Wharton, die mitten im Sezessionskrieg (1862) in Alt-Manhattan als Edith Newbold Jones geboren wurde und später wiederholt das Provinzielle, Langweilige im New York jener Zeit schilderte sowie den Versuch, aus diesem wohlhabenden, selbstzufriedenen Milieu auszubrechen? Ihre Kindheit und Jugend in Amerikas Metropole Nummer eins nannte sie im Rückblick auf ihr in jeder nur denkbaren Hinsicht reiches Leben eine«geistige Wüstenei». Wharton zählte sich zu den«in Amerika im Exil lebenden Amerikanern». Ihr Vater bezog sein Einkommen aus geerbten Immobilien und Landbesitz, entschloss sich aber nach dem Sezessionskrieg, mit seiner jungen Familie diverse Gegenden in Europa aufzusuchen und dort das Leben eines amerikanischen Gentleman zu führen. Für Edith bedeutete dies eine gründliche Horizonterweiterung auch sprachlicher Art, da sie auf diese Weise Französisch, Deutsch und Italienisch fließend beherrschen lernte. Ihre literarischen Ambitionen fanden jedoch in ihrer Familie keinerlei Unterstützung. Eine späte Frucht von Edith
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