Ein Baer namens Sonntag
die Waschmaschine und wusch ihn. Ich dachte noch, das kann man doch nicht machen, man kann einen kleinen Bären nicht in die Waschmaschine stecken – wie soll er da Luft kriegen? Aber die Waschmaschinentrommel drehte sich schon, und ich saß davor und sah durch das runde Fenster zu, wie Sonntag gewaschen wurde. Er guckte vor sich hin dabei. Aber plötzlich kam es mir vor, als ob er sehr, sehr, sehr, sehr traurig vor sich hinguckte.
Als meine Mutter den Bären wieder aus der Waschmaschine nahm, war er patschnass. Sonntag musste den ganzen Tag am Wäscheständer hängen, mit Wäscheklammern in den Ohren, damit er trocken wurde. Immer wenn ich am Wäscheständer vorbeiging, dachte ich, wie sehr, sehr, sehr, sehr traurig Sonntag mich anschaute. Und einmal, als ich besonders langsam vorbeischlich, war mir, als flüstere er mir zu: »Das hätte ichnicht von dir gedacht, dass du mich einmal so hängen lässt. Ich dachte, wir wären Freunde, und nun muss ich hier am Wäscheständer baumeln, als wäre ich eine Unterhose.«
An diesem Abend konnte Sonntag zum ersten Mal seit dem Tag, an dem ich ihn bekommen hatte, nicht in meinem Bett schlafen. Meine Mutter sagte, er sei noch zu nass vom Waschen, um im Bett zu liegen. Deshalb musste ich allein einschlafen, zum ersten Mal seit langer Zeit musste ich allein einschlafen. Ich konnte es aber nicht, wälzte mich bloß hin und her…
… und dann war mir, als hörte ich vom Flur her, wo der Wäscheständer war, den Bären leise singen:
» Bin nur ein kleiner Wa-haschbär,
und häng hier an der Leine,
als wenn ich ein Stück Wäsche wär
– hört niemand, dass ich weine?«
Ich lag im Bett und überlegte, was ein Wa-haschbär ist und was Sonntag damit meinte, dass er ein Wa-haschbär sei, und dann dachte ich, dass ich jetzt so gern sein Fell gestreicheltund meine Nase in sein weiches Bärenhaar gesteckt und an seinem Bärenbauch gehorcht hätte, aber das ging ja alles nicht, und…
Ach, ich kann Dir sagen: Das war einer der traurigsten Abende meines ganzen Lebens.
Als ich irgendwann doch einschlief, hatte ich einen Traum, das heißt, eigentlich waren es zwei Träume, ein sehr kurzer und ein sehr langer.
Zuerst träumte mir, ich wäre nun groß und hätte gar keinen Kuschelbären mehr. Ich lag in meinem Bett und hatte einen Anzug an und ein Hemd mit einer Krawatte. In meinem rechten Arm lag mein Vater. Er war sehr klein, viel kleiner als ich, und er trank aus einer riesigen Milchflasche. In meinem linken Arm lag meine Mutter, die auch sehr klein war, und aß ein riesiges Honigbrot. Plötzlich ließ mein Vater die Milchflasche fallen, weil sie leer war, und meine Mutter hatte ihr Honigbrot aufgegessen. Beide riefen laut:
»Jetzt lies uns was vor!«
Ich bekam einen Riesenschreck. »Aber ich kann doch gar nicht lesen«, sagte ich.
»Trotzdem!«, riefen sie. Und bevor ich einen noch größeren Schreck als vorher bekommen konnte, war der kurze Traum zu Ende. Sofort begann der längere Traum.
In diesem Traum lebte ich in einem Spielzeuggeschäft. Dieses Spielzeuggeschäft gehörte einem alten Bären, der Herr Spielbär hieß und immer einen blauen Kittel trug. Auf seiner Schulter saß ein Papagei. Herr Spielbär stand hinter einem langen hölzernen Tresen. Ab und zu ging die Tür auf, und andere Bären betraten das Geschäft, Bärenmänner in grauen Anzügen, Bärenfrauen in hübschen Kleidern und Bärenkinder, die ungeduldig vor dem Tresen hin und her wimmelten und es gar nicht erwarten konnten, dass Herr Spielbär ihnen das Spielzeug zeigte, das er verkaufte.
Jedesmal, wenn ein Bär oder eine Bärin oder ein Bärenkind den Laden betrat, schrie der Papagei auf der Schulter des Ladenbesitzers: »Spiiielzeug! Sääähr schööönes Spiiielzeug! Hääärrrliches Spiiielzeug!«
Hinter Herrn Spielbär war ein riesiges Regal mit vielen großen und kleinen Schachteln darin. In diesen Schachteln war das Spielzeug. Herr Spielbär mit seinem Papagei auf derSchulter musste immer eine lange Leiter hinaufsteigen, wenn er eine Schachtel aus dem Regal nehmen wollte, um jemand ihren Inhalt zu zeigen, und wenn er da hinaufkletterte, knarrte das Holz des Regals. Es war schon ein sehr altes Spielzeuggeschäft.
Ja, Du hast am Anfang richtig verstanden: Ich wohnte in diesem Spielzeugladen. Ich wohnte dort mit vielen anderen Kindern in einer großen Schachtel ziemlich weit oben im Regal. Und dann und wann kletterte der alte Ladenbesitzer die Leiter hoch, um unsere Schachtel herunterzuholen
Weitere Kostenlose Bücher