Ein Baer namens Sonntag
Axel Hacke
Ein Bär namens
Sonntag
Mit Bildern von Michael Sowa
Verlag Antje Kunstmann
Für David
A ls ich ein kleiner Junge war, besaß ich einen schweigsamen kleinen Bären, der hieß Sonntag.
Der Bär lag eines Morgens, als ich erwachte, neben mir im Bett und sah sehr neu aus.
»Wie heißt du?«, habe ich ihn gefragt. Aber der Bär antwortete nicht. Er starrte nur geradeaus in die Luft.
»Wie heißt du, Bär?«, fragte ich noch einmal. Aber der Bär rührte sich nicht einmal. Eine Antwort gab er schon gar nicht.
Wenn er mir nicht sagt, wie er heißt, dachte ich, hmmm... Vielleicht kann er es mir einfach nicht sagen, dachte ich. Vielleicht kann er es mir nicht sagen, weil er keinen Namen hat.
Dann muss ich ihm einen Namen geben, dachte ich. Dennjeder Bär braucht einen Namen. Wie soll man ihn sonst rufen, wenn man ihn braucht?
Ich schaute den Bären lange an und überlegte, wie ich ihn nennen sollte. Schließlich beschloss ich, ihn Der-Bär-der-eines-Morgens-neben-mir-im-Bett-lag zu nennen.
Ich dachte eine Weile über diesen Namen nach.
Dann fiel mir ein, dass Der-Bär-der-eines-Morgens-neben-mir-im-Bett-lag ein sehr langer Name sei, vielleicht ein zu langer Name für einen kleinen Bären. Es war ja wirklich ein kleiner Bär, so wie ich ein kleiner Junge war damals. Er war, um ehrlich zu sein, nicht länger als mein rechter Arm.
Also nannte ich den Bären Sonntag, denn es war gerade Sonntag, als er zum ersten Mal morgens neben mir lag, und warum sollte ich ihn dann nicht auch so nennen?
So begann diese Geschichte.
Der Bär namens Sonntag und ich waren von nun an immer zusammen. Wenn ich zum Beispiel am Spielplatz auf einer Schaukel schaukelte, saß Sonntag auf der Schaukel neben mir. Wenn ich mit meinem Fahrrad fuhr, klemmte Sonntag auf dem Gepäckträger. Wenn ich zum Klo ging, hockte Sonntag neben mir auf einem kleinen Topf.
Wir waren gute Freunde. Und natürlich ging Sonntag auch jeden Abend mit mir zu Bett. Erst wenn er neben mir lag, machte ich die Augen zu. Ich legte dann einen Arm um den kleinen Bären und streichelte das Bärenfell und fühlte, ob Sonntag auch wirklich da war. Dann steckte ich meine Nase in die weichen Bärenhaare und roch, ob Sonntag auch wirklich da war. Dann legte ich mein Ohr an den Bärenbauch und hörte, ob Sonntag auch wirklich da war. Wenn ich das alles getan hatte, und wenn ich ganz sicher war, dass Sonntag neben mir lag – dann schlief ich ein, und Sonntag schlief sowieso schon lange und schnarchte ein kleines Bärenschnarchen, bärchchch, bärchchch…
Aber eines Morgens, als ich aufgewacht war, sah ich den kleinen Bären an, der neben mir lag, und dachte: Ob Sonntag mich genauso lieb hat wie ich ihn lieb habe? Er sagt ja nie was. Er umarmt mich nie. Er gibt mir nie einen Kuss. Immer sitzt er bloß da. Oder liegt. Oder steht. Und guckt vor sich hin. Aber er tut nichts, nie tut er etwas. Und wenn er nie etwas tut , vielleicht ist er dann gar nicht richtig lebendig. Und wenn er nicht richtig lebendig ist – wie soll er mich dann lieb haben?
Ich nahm meinen kleinen Bären hoch in beide Hände und schüttelte ihn. Dann stand ich auf, legte ihn auf den Boden und stellte mich mit beiden Beinen auf seinen Bauch. Dann nahm ich einen kleinen Spielzeughammer und haute ihm einmal auf den Kopf, so fest ich konnte.
Aber Sonntag lag bloß da und guckte vor sich hin.
»Das gibt’s doch gar nicht«, dachte ich. »Das gibt’s doch gar nicht, dass so ein Bär sich alles gefallen lässt.«
Ich nahm ihn unter den Arm und ging mit ihm zum Frühstückstisch. Da standen, wie jeden Morgen, eine Tasse Milch und ein Teller mit einem Honigbrot. Ich sagte zu meiner Mutter, heute wolle Sonntag auch eine Milch und ein Honigbrot. Also goss meine Mutter Milch in eine Tasse, machte ein Honigbrot und stellte beides vor Sonntag hin.
Aber er aß nichts. Und er trank nichts. Er guckte nur vor sich hin.
Da nahm ich die Milchtasse und wollte ihm zu trinken geben. Aber die Milch lief über seine Schnauze, weil er sie nicht aufmachte, und als ich ihm das Honigbrot hineinstopfen wollte, verklebten bloß sein Maul und sein Fell mit Honig, denn er aß nichts.
»Sonntag ist blöd!«, schrie ich. »Ich liebe ihn überhaupt nicht!« Ich nahm den Bären und schleuderte ihn quer über den Tisch gegen die Wand.
Meine Mutter nahm den Bären auf den Arm. »Was machst du denn mit dem armen Sonntag?!«, rief sie. Dann sagte sie, er rieche nach Milch, und sein Fell sei ganz verklebt. Sie steckte ihn in
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