Ein bisschen schwanger
unter verführerisch vorgebeugten Blütenzweigen.
Rosarote Blütenblätter liegen vor den Tigerpfoten wie Blutstropfen, als er sich anschleicht.
Alle meine Bilder hatten mir beim Jubiläumsfest gefallen, gerahmt sahen sie genial aus und in Verbindung mit den lebenden Tigern hinter den Glasscheiben und Gittern des Raubtierhauses war ihre Wirkung einfach enorm.
Bevor ich wegdämmere, genieße ich noch einmal das Glück, das ich während des Festes empfunden hatte: Ich hatte Bilder, ich hatte Freunde, ich hatte immer noch drei Tage Zeit und damit noch alle Möglichkeiten, mich für das eine oder andere zu entscheiden, und ich hatte die Kraft, diese Entscheidung, wie auch immer sie aussehen würde, durchzuziehen.
Wie … schön … das … war!
Der Wecker klingelt. Ich habe doch gerade erst die Augen zugemacht! Draußen ist es auch noch ganz finster und wahrscheinlich bitterkalt.
Die Zeit ist um. In eineinhalb Stunden soll der Abbruch stattfinden. Ich muss mich jetzt anziehen, duschen, nüchtern bleiben, losfahren, die Treppe in den dritten Stock hinaufsteigen und es endlich durchziehen. Ich bin über alles informiert, alles geht schonend, sicher, gründlich. Desinfizieren, Öffnen des Gebärmuttermundes, Absaugen der Frucht mit einem zehn Millimeter dicken Röhrchen. Ein kleiner Krampf, eine kleine Blutung, basta. Klinische Routine. Ein Klacks. Heute Mittag ist der Alptraum vorbei. Worauf warte ich noch?!
»Linda?« Meine Mutter kommt herein, Licht blendet meine Augen. Sie setzt sich aufs Bett. »Ein paar Minuten hast du noch. Wollen wir noch mal reden, hm, Süße?«
»Nein, Mama, lass mich allein, ich bin noch nicht fertig.« »Noch immer nicht?«
Nie, vielleicht werde ich nie fertig. Tränen steigen mir in die Augen. Das darf und kann doch nicht sein! So viel habe ich schon geschafft.
Ich habe sogar Patrick überlebt! Wenn das nichts ist, was dann?
»Lass mich, Mama, ich brauche noch ein paar Minuten, dann weiß ich’s.« Ich drehe mich von ihr weg.
»Ach, Kind.« Meine Mutter steht auf, verzweifelt. Dunkelheit herrscht wieder im Zimmer. Aus dem Flur sind die gedämpfte Stimme und die Schritte meines Vaters zu hören. Als er ihr zornig sagt, wir dürften nicht trödeln, klingt es wie ein Knurren. Nicht wie das Knurren eines Tigers, aber fast.
Ich ziehe mir die Decke über den Kopf.
Nach dem Glück kam Patrick. Er kam, nachdem vorgestern am Tag des Jubiläumsfestes alle Fotos gemacht und alle Gäste herumgeführt worden waren. Er kam, als ich nach dem ganzen Trubel schließlich allein vor dem Raubtierhaus stand, ein Stück trockenen Kuchen verdrückte, mir die letzten, abendlichen Novembersonnenstrahlen ins Gesicht scheinen ließ und meinen Erfolg genoss. Da stand er plötzlich vor mir, mit vor der Brust verschränkten Armen, zurückgelehntem Oberkörper, kaltem Blick. Und er wusste alles.
Entscheidung
1. November
Melanie hatte mich verraten. Nicht aus böser Absicht, Patrick hatte sie ausgehorcht, als sie allein auf Torstens Party in einer Ecke gestanden und sich gelangweilt an ihrer Cola festgehalten hatte. Er hatte sich ihr mit einem charmanten Lächeln genähert, einen Arm um ihre Schulter gelegt und erkannt, dass sie sich einsam und von mir und Sonja – denn die war natürlich auch nicht zur Party gekommen – ungerechterweise allein gelassen fühlte. Wahrscheinlich hatte Melanie ihm unsere Geheimnisse bereitwillig und naiv ausgeplaudert.
Jetzt stand er vor mir.
Meine Eltern, Martin, Rabea – niemand von ihnen war greifbar, denn genau in dieser Minute begann im Haupthaus ein festlicher Sektempfang mit Reden, Sketchen, Gewinnspielen, Musikerauftritten, Filmvorführungen und zirkusähnlichen Dressuren von Kleintieren. Alle Gäste des Jubiläumsfestes hatte es dort hingezogen. Ebenso die meisten Angestellten: Martin musste dort im Laufe des Abends auftreten, Rabea die Kinder unterhalten, mein Vater moderieren, meine Mutter in der ersten Reihe sitzen und die Daumen drücken.
Ich war allein auf weiter Flur.
»Wie kannst du nur?«, fragte Patrick. »Wie kannst du nur ein derart herzloser, egoistischer, abgebrühter, grausamer Mensch sein?« Er spuckte vor mir aus. »Ich weiß nicht, warum ich dich mal geliebt habe, Linda!«
Wie früher bekam ich kein Wort heraus, stand da wie gelähmt. Der Kuchen zerbröselte mir zwischen den Fingern, rieselte auf den Boden. Die Wand in meinem Rücken war eiskalt. Patrick kam näher. Seine Stimmung schlug um. Er legte Milde in seinen Gesichtsausdruck, streckte
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