Ein bretonisches Erbe
so war die Beerdigung in Deutschland gegen ihr Votum beschlossen worden und das Datum bereits festgesetzt.
Sie hätte sich wohl gefügt, wenn da nicht dieser Brief ihres Großvaters gewesen wäre, der in ihr den spontanen Entschluss weckte, auf alle Konventionen zu pfeifen, seine Urne zu entführen und seine Asche dorthin zubringen, wo er seinen letzten Weg antreten wollte: In die Bretagne, in die Baie des Tréspassés , die Bucht der Verstorbenen. Sie würde ihn nicht zurücklassen! Niemals! Er konnte auf sie bauen.
Vogelzwitschern weckte Yuna. Einen Moment war sie orientierungslos, dann erinnerte sie sich, dass sie sich auf einem halsbrecherischen Motorradtrip befand. Mit einer fremden Maschine, ohne ausreichender Fahrpraxis und mit einer geklauten Urne im Gepäck. Stoff für einen Roman, dachte sie amüsiert, aber als echtes Leben nicht ganz wirklichkeitstauglich, zumindest reichlich abgefahren.
Aber manchmal ist eben doch, was eigentlich nicht sein kann. Ihre schmerzenden Gliedmaßen jedenfalls, die ihr die harte Schlummerrunde auf der Holzbank sichtlich übel genommen hatten, bezeugten, dass sie nicht bei einem Roadmovie im Kinosessel eingeschlafen war, sondern selber mittendrin hing. Wie absurd das Leben doch manchmal war. Und wie aufregend!
Die Mütze Schlaf, die sie zu sich genommen hatte, schien tatsächlich ihre Lebensgeister wieder geweckt zu haben. Jedenfalls fühlte sie sich tatendurstig und stark genug, ihre Mission erfolgreich zu Ende zu bringen.
Yuna streckte sich wohlig und hob dann mit einem tiefen Atemzug beide Arme dem Himmel entgegen, atmete aus und wieder ein und sog mit der kühlen Morgenluft Sauerstoff und ein Gefühl von Freiheit ein. Was für ein wundervolles Erwachen, was für ein herrlicher Morgen!
Morning has broken like the first morning, blackbird has spoken, like the first bird….
Ein Hauch Tau lag auf Tischen und Bänken, war aber schon dabei, in der aufgehenden Sonne abzutrocknen. Life is beautiful , dachte sie und mit einem Blick zu den musikalischen Vögeln fügte sie augenzwinkernd hinzu: „ Even the orchestra ist beautiful !“ Die so geehrten Piepmätze bedankten sich mit gesteigerter Lautstärke für das Kompliment aus Cabaret.
Yuna trällerte den Eröffnungssong des Musicals und blickte sich um. Nichts, weit und breit kein Mensch zu sehen. Anscheinend hatte sie den Rest der Nacht hier tatsächlich alleine und ungestört verschlafen. Sie stand auf und ging mit etwas steifen Beinen zu dem Toilettenhäuschen hinüber. Dort beugte sie sich über das außen befindliche Waschbecken, spritzte sich reichlich kaltes Wasser ins Gesicht und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Das tat gut!
Sie war durstig, scheute sich aber, das Wasser zu trinken. Man wusste ja nie woher es kam. Montezumas Rache musste sie nun wirklich nicht noch heraufbeschwören. Sie dachte an ihre Reise nach Mexiko mit Michael, wo sie fast eine Woche nur gespukt und geschissen hatten, weil sie zu nachlässig mit dem Wasser gewesen waren.
Nein, mit Diarrhöe auf dem Motorrad zu sitzen, das war wirklich nicht angenehm. Das musste sie nicht noch mal haben. Außerdem verspürte sie auch Hunger.
Also erledigte sie schnell ihre Notdurft, was ihr auf dem typischen französischen Autobahnstehklo immer gewisse Schwierigkeiten machte und das sie nach wie vor als eine Zumutung für einen normalen Mitteleuropäer empfand. Aber sollte ja hygienisch sein… wenn man sich selbst anpinkeln hygienisch findet… Da schieden sich doch wohl die Geister.
Sie erledigte die gröbste Morgentoilette und düste dann zur nächsten Raststätte. Dort gab es komfortablere Waschräume und warmen Milchkaffee und auch ein frisches Croissant zwischen die Zähne.
Als sie mit diesen Köstlichkeiten an einem der Resopaltische hockte, erschien ihr die Welt so lebenswert wie schon lange nicht mehr und sie fragte sich, ob ihr Großvater nicht ganz bewusst von ihr verlangt hatte, seine Urne in die Bretagne zu bringen, weil er wollte, dass sie diese Erfahrung machte. Dass sie nicht nur sein Haus übernahm, sondern wirklich sein Erbe antrat, mit allen Tollheiten, die damit verbunden waren. Dass sie sozusagen von einem Leben in ein anderes ging… So wie bei Brecht der Kranich mit der Wolke dahin treibt… so trieb auch sie auf etwas zu, das ihr Leben vielleicht in ungeahnter Weise verändern würde.
Die Weggemeinschaft mit der Asche ihres Opas, konnte zu etwas ganz Wunderbarem werden. Sie musste nur damit beginnen, sich den neuen Erfahrungen
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