Ein bretonisches Erbe
hergestellt.“
Selbstverständlich sollte die Passagierliste nach Holland geschickt werden, um den noch lebenden Angehörigen der Toten endlich Gewissheit über deren Schicksal zu geben und Yunas Vater würde nach möglichen Verwandten forschen.
Als dann Yunas Eltern und Juliens Großeltern begannen alte Geschichten von Grand-père Pierre zu erzählen, ging der Abend in einen heiteren geselligen Teil über, bei dem viel Wein die Kehlen runter floss.
So hat Opa doch recht gehabt, dachte Yuna und spürte plötzlich wie sich die Kraft der Liebe, die er wohl gemeint hatte, im ganzen Raum ausbreitete und auch sie umfing.
Sie kuschelte sich auf der Kaminbank an Julien, wie leicht auf einmal alles war. Als er sie ohne Hemmungen vor den Eltern und Großeltern küsste, klatschten diese amüsiert Beifall und Jean Baptiste brachte einen launigen bretonischen Trinkspruch auf das junge Paar aus!
„Was hat er gesagt?“, wisperte Yuna.
Julien grinste. „Was… äh… Deftiges… hätte ich dem alten Knaben gar nicht zugetraut. Wer die Auster nicht öffnet, kann sie nicht schlürfen … oder so ähnlich.“ Er wurde ein bisschen verlegen dabei, aber Yuna lachte nur leicht beschwipst und meinte kichernd: „Stimmt doch!“
An einem der nächsten Tage fuhr Yuna mit ihrem Vater zu einem Juwelier nach St. Brieuc, der fachmännisch das Medaillon öffnete. Zu ihrem Erstaunen lag eine blonde Haarlocke darin. Yuna betrachtete sie entzückt.
„Die ist von dir, Papa!“, rief sie ganz überwältig. „Die ist ganz bestimmt von dir. Sicher hat deine Mutter sie dir abgeschnitten und dann immer in diesem Medaillon an ihrer Brust getragen.“
Ihr Vater sah sie zweifelnd an, meinte dann aber grübelnd:
„Ich könnte einen Gentest machen lassen…“
Wie Yuna ihn kannte, würde er das wohl auch tatsächlich tun.
Sie aber brauchte diese letzte Gewissheit nicht, denn für sie waren die Dinge nun absolut klar.
An einem frühen Morgen vollendete Yuna ihr Bild. Ihre Eltern schliefen noch, als sie mit einem Pot Kaffee in den Wintergarten ging, um eine nächtliche Vision umzusetzen. Es war nur noch eine Kleinigkeit, die sie aber unbedingt hinzufügen musste.
Sie betrachtete die junge Frau am Witwenkreuz, die auf das Meer hinaussah. Die eine Hand schützend über den Augen, die andere behütend um die Hand der kleinen Tochter geschlungen. Am Himmel stand die bleiche Scheibe der Sonne und schuf ein unwirkliches, tranzendentes Licht. Der Horizont verschwamm im zarten Schleier des Morgennebels. Er war leer.
Yuna griff nach Pinsel und Farben. In einem intensiven Schöpfungsrausch gab sie der Sonne mehr Glanz und setzte das Segel der Hoffnung an den Horizont. So schuf sie für die kleine Famlie auf ihrem Bild das Glück, welches Pierre Loti Gaud und Yann versagt hatte.
Ich kann es, dachte sie dabei, ich muss keine Schriftstellerin sein, auch als Malerin kann ich den Menschen eine gute Zukunft schenken. Sie trat ein paar Schritte zurück und ließ sich noch eimal ganz in den Anblick der Szene fallen. Sie war zufrieden mit dem, was sie sah.
Als ihre Mutter in den Wintergarten trat und das nun fertige Bild entdeckte, fielen sich die beiden Frauen in die Arme.
„Ich habe es immer gewusst, Yuna“, sagte Monika Lindberg gerührt. „Das Malen ist deine Bestimmung. Hier wirst du die Ruhe und Kraft finden, für viele ebenso schöne Werke.“
Zwei Wochen später hatte Yunas Vater, als versierter Jurist, die Erlaubnis für eine Seebestattung der Gebeine seines Vaters bei den französischen Behörden erwirkt.
An einem wunderschönen, sonnigen Sonntag versammelte sich eine große Trauergemeinde am Witwenkreuz auf der Insel am Plage Martin .
Wie ein Lauffeuer hatte Yunas Fund die Runde gemacht, und es war ein Aufatmen durch das Dorf gegangen. Nun wollte jeder dem Kapitän der Marie van Veen die letzte Ehre erweisen und zugleich auch von Grand-père Pierre Abschied nehmen.
Der Pfarrer aus St. Laurent hielt am Fuße des Kreuzes eine wunderbar einfühlsame, ökumenische Predigt, in der er beide Männer würdigte. Anschließend wurden die Namen aller Opfer der Schiffskatastrophe verlesen und von Yuna geschriebene Zettel mit ihren Namen in Großvaters Pierres leere Urne gelegt. Sie sollte zusammen mit den sterblichen Überresten von Vincent van Leyen dem Meer übergeben werden.
Das Musik Corps der Anciens Marines spielte den Choral von Plouguerneau und zum Abschluss der Feier die Bretonische Hymne, die alle Anwesenden, die rechte Hand auf ihr
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