Ein delikater Liebesbrief
muss gestehen, ich bin überrascht. Ich dachte, Darby hätte sich schon vor langer Zeit gegen den Ehestand entschieden«, sagte sie mit matter Stimme.
»Er hat eben auf meinen Rat gehört.« Bunge warf sich in die stolzgeschwellte Brust. »Ich habe ihm geraten, er solle sich eine reiche Erbin angeln, und genau das hat er getan. Hab sie noch nicht gesehen, aber sie sollte heute Abend kommen.«
»Aber natürlich!«, rief Felicia, die endlich zwei und zwei zusammengezählt hatte. »Lady Rawlings’ ist doch in Umständen!«
»Korrekt.« Bunge zupfte die Naht seiner purpurfarbenen Strümpfe zurecht. »Die Wetten bei White’s stehen siebzig zu eins, dass es ein Junge wird.«
»Lächerlich! Niemand kann das Geschlecht eines Kindes voraussagen.«
»Die Wetten, wer der Vater ist, gehen noch viel höher. Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, lag Rawlings noch knapp vorn, und das, obwohl er im Schlafzimmer seiner Frau gestorben ist!«
»Ich nehme an, es dürfte Darby nicht allzu schwergefallen sein, eine Erbin zu finden«, sagte Felicia. »Wie schade, dass er nicht den Beginn der Saison abgewartet hat. Es wäre doch überaus interessant gewesen, diese Brautwerbung zu beobachten. Glaubst du, sein Schwiegervater ist im Handel tätig?«
»Ich hatte ihm ja das Mutterschaf – die Tochter des Wollhändlers – vorgeschlagen«, meinte Bunge und lachte jovial. »Aber nein! Er musste unbedingt die Tochter des verstorbenen Holkham heiraten. Der hat sie offenbar als Alleinerbin für seinen Besitz in Wiltshire eingesetzt.«
Als Almack’s -Patronin betrachtete Felicia es als ihre Pflicht, Debretts Adelsregister auswendig zu kennen. »Mal überlegen«, sagte sie langsam, »dann muss es wohl die ältere Tochter sein, es sei denn, Darby hätte die jüngere aus dem Schulzimmer entführt.«
»Wie alt sie ist, weiß ich nicht«, überlegte Bunge. »Aber es muss ja wohl die Ältere sein, denn sie hat schließlich den Besitz geerbt.«
»Aber die junge Frau ist doch behindert!«, stieß Felicia leicht keuchend hervor. »Deshalb ist sie auch nie in die Gesellschaft eingeführt worden.«
»Vielleicht war es ja eine Liebesheirat«, meinte Bunge. »Darby sieht über ihr Gebrechen hinweg, weil er so vernarrt in sie ist. Aber wenn es nicht Leidenschaft war … dann eben das liebe Geld.«
»Hör auf zu kichern«, mahnte Felicia mit der Offenheit, die einer Cousine zweiten Grades zustand. »Eine sehr unfeine Angewohnheit. Ich wünschte nur, ich könnte mich erinnern, was mit der älteren Tochter nicht stimmte …«
In diesem Augenblick wandten sich alle Anwesenden der Tür des Ballsaales zu, wo der Butler soeben »Lady Henrietta Darby und Mr Darby« angekündigt hatte.
»Jedenfalls sieht man ihr nichts an«, urteilte Bunge. »Sie ist wirklich eine Schönheit.«
Lady Henrietta, die an der Seite ihres Gatten stand, trug ein Kleid, dessen Stoffbahnen sie umschwebten wie hauchzarte Flügel. Goldene Locken umrankten ihr Gesicht. Selbst von Weitem konnte man das leuchtende Blau ihrer Augen erkennen.
Bunge verspürte einen neidvollen Stich. »Scheint so, als ob Darby sich endlich auf Rosen gebettet hätte.«
Lady Felicia hatte sehr jung und reich geheiratet und in der Gesellschaft jahrelang als glückliche Ehefrau gegolten. Doch inzwischen wusste alle Welt, dass ihr Ehemann Henry Saville verrückt war. Den Gipfel seines Wahns hatte er erklommen, als er hoch zu Ross die Stufen zur St.-Paul’s-Kathedrale emporgeritten war und steif und fest behauptet hatte, das Pferd sei sein Bruder und müsse unverzüglich getauft werden.
Folglich beobachtete Felicia die Darbys mit Argusaugen. Sie gab freimütig zu, dass sie die Gesellschaft glücklicher Paare nur schwer ertrug. Doch nach ein paar Minuten schweigender Beobachtung wich ihr Unmut wachsender Neugier.
»Da geht etwas Seltsames vor«, wisperte sie Bunge zu.
»Was? Was?« Er gierte zwar stets nach dem neuesten Klatsch, war aber in Felicias Augen ein sehr schlechter Beobachter.
»Bei den Frischvermählten«, sagte sie. »Lady Henrietta scheint sich nicht gerade … Sieh doch nur! Darby hat sie stehen lassen und tanzt mit Mrs Ravensclan. Welch ein Affront! Man mag es ja kaum glauben.« Felicia war geradezu erfreut. »Komm schon, Bunge«, drängte sie. »Trösten wir die Unglückliche.«
Darby tanzte zwar, es gelang ihm jedoch nicht, Henrietta aus seinen Gedanken zu verbannen. Auf der Fahrt zum Ball hatte er einen vorläufigen Plan entwickelt: Er würde sie auf gröbste Art brüskieren, indem
Weitere Kostenlose Bücher