Ein echter Schatz
1
Seit fünf Minuten stand ich mit meiner Schrottkarre draußen vor der Kautionsagentur meines Cousins Vinnie und überlegte, ob ich mich an die Arbeit machen oder lieber zurück zu meiner Wohnung fahren sollte. Ich bin Stephanie Plum, und die vernünftige Stephanie wollte sich wieder ins Bett verkriechen, die verrückte meinte, sie sollte sich nicht so haben und endlich in die Gänge kommen.
Ich war drauf und dran, eine Dummheit zu begehen. Alle Anzeichen sprachen dafür: mein flauer Magen; das Gefühl, einer Katastrophe ins Auge zu sehen; und das Wissen, etwas Verbotenes zu tun. Trotzdem wollte ich an dem Plan festhalten. Eigentlich waren Dummheiten in meinem Leben ja nichts Neues. Seit ich denken kann, bin ich von einer Katastrophe in die nächste geschlittert. Als ich sechs Jahre alt war, habe ich mir mal Zucker auf den Kopf gestreut. Ich redete mir ein, es sei Feenstaub, wünschte mir, unsichtbar zu sein, und spazierte auf das Jungsklo in meiner Schule. Tja, aus Erfahrung wird man bekanntlich klug.
Die Tür zum Kautionsbüro ging auf, und Lula steckte den Kopf durch den Spalt. »Willst du den ganzen Tag da rumsitzen, oder was ist los?«, fuhr sie mich an.
Lula ist eine schwarze Frau mit einer Rubensfigur und einem Las-Vegas-Outfit, das vier Nummern zu klein ist. Früher ist sie auf den Strich gegangen, jetzt macht sie die Ab läge in Vinnies Büro und ist meine Fahrerin – je nach Lust und Laune. Heute trug sie breite Wuschel-Boots aus Kunstfell, und ihren Po hatte sie in giftgrüne Pants aus Elastan gezwängt. Quer über die Brust ihres pinkfarbenen Sweatshirts stand mit Pailletten geschrieben: Liebesgöttin.
Mein Outfit ist im Allgemeinen etwas salopper als Lulas. Ich trug Jeans und ein langärmliges Shirt von GAP. Meine Füße steckten in nachgemachten Ugg-Boots, und ich hatte mich in eine dicke Steppjacke eingemummelt. Ich habe braune Naturlocken, die ganz okay aussehen, wenn ich das Haar schulterlang trage. Wenn ich es kurz trage, ist das einzig Positive, was man über meine Frisur sagen kann, dass sie schwungvoll aussieht. Heute hatte ich etwas mehr Wimperntusche aufgetragen als sonst, um mein Selbstbewusstsein zu heben. Ich sollte jemandem einen Gefallen tun, was vermutlich noch ein langes Nachspiel haben würde. Ich schnappte mir meine Tasche, drückte die Fahrertür auf und schlüpfte aus dem Auto.
Es war Ende Februar, Düsternis, so weit das Auge reichte. Obwohl es schon fast zehn Uhr war, brannten die Straßenlaternen noch immer, und die Sichtweite in dem Schneetreiben betrug gerade mal zwanzig Zentimeter. Ein Lastwagen tuckerte vorbei und bespritzte mich mit Schneematsch, so dass meine Jeans klatschnass wurde. Das löste mir die Zunge: Ich schickte dem Fahrer eine wüste Schimpfkanonade hinterher. Winterwunderland a la New Jersey.
Als ich ins Büro spazierte, spähte Connie Rosolli hinter ihrem Computer hervor. Connie ist Vinnies Büroleiterin und erste Verteidigungslinie gegen den Strom der genervten Kautionsnehmer, Zocker, Nutten, diversen Schuldeneintreiber und geprellten Pornohändler, die in Vinnies Allerheiligstes vordringen wollen. Connie ist ein paar Jahre älter als ich, ein paar Kilo schwerer, ein paar Zentimeter kleiner, ihr Busen ein paar Nummern üppiger und ihre Frisur etwas voluminöser als meine. Connie ist einigermaßen hübsch auf ihre Art, hart im Nehmen, Italienerin, dritte Generation, aber sonst voll das Jersey-Girl.
»Ich habe drei neue Ausreißer«, sagte Connie. »Simon Diggery ist auch wieder dabei.«
Ausreißer, das sind Kautionsflüchtlinge, Leute, die nicht zu ihren Gerichtsterminen erscheinen, nachdem Vinnie sie gegen Kaution aus dem Gefängnis geholt hat. Wenn diese Leute den Termin versäumen, geht Vinnie das Geld flöten. An dem Punkt komme ich ins Spiel. Ich arbeite als Kautionsdetektivin für Vinnie, besser gesagt als Kopfgeldjägerin, und ich führe die Kautionsflüchtlinge wieder unserem Rechtssystem zu, das ist mein Job.
»Mit Simon Diggery musst du allein fertig werden. Dabei kann ich dir nicht helfen«, sagte Lula. Sie ließ sich auf das braune Kunstledersofa fallen und holte die neue Ausgabe der Stars hervor. »Das habe ich hinter mir. Das mache ich nicht noch mal.«
»Diggery ist leichte Beute«, sagte ich. »Wir wissen doch sogar schon, wo wir ihn suchen müssen.«
»Das ›wir‹ kannst du dir abschminken. Zieh allein los. Ich habe keinen Bock, nachts irgendwo auf einer Knochenhalde auf Simon Diggery zu warten und mir den Hintern
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