Ein Engel an Güte (German Edition)
Morosina!», antwortete der Alte, und von seiner sonstigen gravitätischen Art abweichend, küsste er das schöne Köpfchen, welches sie zutraulich an seine Schulter lehnte,«ich weiß, wie zärtlich du mich und deine Frau Mutter liebst! Und schau, ich habe doch nur dich auf dieser Welt!»
« Und auch dieses Jahr», sagte das junge Mädchen,« auch dieses Jahr konnten Sie Signora Cecilia nicht dazu bewegen, einen Abstecher nach Venedig zu unternehmen...? Und dabei hatte ich mir wegen der geringeren Entfernung schon so große Hoffnungen gemacht! Jetzt weiß ich, wie schwer es ist, seit sechs Jahren wieder eine Mama zu haben und sie immer noch nicht zu kennen!»
« Komm, komm, Morosina!», versetzte der Podestà, die in seiner Stimme bebende Zärtlichkeit bezwingend.«Wein jetzt nicht, wo du doch deinen Vater hier hast! Signora Cecilia ist zum Wohle der Republik dort oben geblieben, und das muss dir genügen...! Und außerdem, kommst du nicht in einem Monat zu uns? Mir scheint also, in diesem Jahr bestand weniger Grund als in anderen, ihr diese Strapaze zuzumuten!»
« O ja, ja! In einem Monat», rief Morosina, klatschte in die Hände und sprang vom Stuhl auf,« in einem Monat werde ich ständig bei Ihnen sein, mein lieber, guter Herr Vater!»
« Ja, ja, mein Schätzchen, ständig bei mir, bis es Seiner Exzellenz Formiani und deiner Frau Mutter beliebt, dich zu verheiraten.»
Bei diesen Worten traten Morosina Tränen in die Augen, sie bewahrten aber immerhin so viel Klarsicht, dass sie am anderen Ende des Saales einem jungen Mann nachspähen konnten, der sich in diesem Gedränge einen Weg zum Ausgang zu bahnen suchte.
« Einen Augenblick, mein Vater!», sagte sie, sich die Tränen trocknend,«nur einen winzigen Augenblick, ich bin gleich wieder da!»
Sie eilte davon und schlüpfte mit wahrhaft venezianischer Geschmeidigkeit, den kleinen Leib drehend und wendend, zwischen den Personen hindurch und erreichte den jungen Mann, als er eben den Fuß auf die Schwelle setzte.
« Signor Celio!», flüsterte sie, ihn fast vertraulich beim Arm nehmend.
Der Cavaliere, der sich auf diesen Ruf hin umwandte, war von hohem, schlankem Wuchs, von schönen und edlen Gesichtszügen und prunkvoll gekleidet.
« Was gibt es, Signora Morosina?», erwiderte er leicht errötend.
« So schnell verlassen Sie uns schon?», sagte das Mädchen leise.
« Hier drin wird man ja gesotten wie in einem Kessel!», erwiderte der junge Mann und wandte sich zum Gehen.
Aber die Hand des Mädchens ruhte noch leicht auf seinem Arm, und es lag eine so zarte Bitte in dieser Geste, dass er den Fuß wieder zurückzog. Was die Hand begonnen hatte, brachten die Augen des Mädchens zu einem guten Ende, weshalb Celio sagte, die Hitze sei ihm vergangen, und er wolle noch ein Weilchen bleiben.
« Das freut mich», sagte Morosina und begann, sich ihren Weg zurück durch die Menge zu bahnen, wobei sie sich jeden Augenblick umwandte, wie um den Cavaliere mit den Augen zu lenken.« Das freut mich, so kann ich Sie endlich meinem Herrn Vater vorstellen!»
An welchem Glück dem jungen Mann nicht eben viel zu liegen schien, denn bei diesen Worten zögerte er noch einmal; doch Morosina, die Terrain gewonnen hatte, sah sich nun nach ihm um, und damit hatte sie die Auseinandersetzung endgültig für sich entschieden, denn eine Minute später machte der schöne Cavaliere, sich ein verräterisches Lächeln verbeißend, vor dem Podestà eine tiefe Verbeugung.
« Oh, was für ein hübscher junger Mann du geworden bist, Celio, du Schlingel!», nahm dieser die ehrerbietige Huldigung entgegen.«Es ist schon eine ganze Weile her, dass wir uns gesehen haben, nicht wahr? Seit der Zeit, als ich in Castelfranco war, dünkt mich. Bravo, bravissimo, mein lieber Celio ...! Celio Terni, nicht wahr...? Ach ja! Terni, wahrhaftig! So hieß dein Vater; was für herrliche Gelage habe ich dort oben mit ihm veranstaltet, als er Podestà in Caneva war! Ja, das waren noch Zeiten! Ich hatte eben meine arme Chiaretta verloren! Die gute Seele ...! Jetzt habe ich ja eine andere...! Aber was für eine Frau, und wieviel Geist sie besitzt! Komm mich doch einmal besuchen, liebster Celietto, komm mich besuchen, dort oben in Asolo 7 , dann wirst du sie kennenlernen! Es ist ein bisschen abgelegener als Castelfranco, aber ich schwöre dir, es lohnt sich!»
« In Asolo hat der Cavaliere seine Besitzungen», bemerkte Morosina.
« Wahrhaftig ...? Ach ja, stimmt ja...! Und ich Rindvieh erinnere mich nicht
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