Ein Engel an Güte (German Edition)
I
Der Sprechsaal der Seraphinerinnen
Am ersten Sonntag im Mai des Jahres 1749 gab es ein dichtes Gedränge von Gondeln an der Riva di San Pieretto: In der Abenddämmerung war der Kanal dann gänzlich verstopft, Ruder wirbelten durcheinander, Bug stieß an Bug, Rufe schollen von Boot zu Boot, kurzum, es herrschte ein Tumult, wie ihn nur die Bootsführer von Venedig zu veranstalten wissen. Es war der höchste Feiertag im Kloster der Seraphinerinnen 1 , und da diese einem der besten Erziehungsinstitute für Töchter des Patriziats vorstanden, drängte sich die adlige Sippschaft in den Sprechsälen, und unter Angehörige, Vormünder und Freunde mengten sich auch etliche Schaulustige; was die ehrwürdigen Schwestern überhaupt nicht schreckte, ganz im Gegenteil, sie erfreuten sich am harmlosen Gepränge, das ihnen sehr geeignet schien, den Ruhm ihrer Schutzpatronin, der Heiligen Teresa 2 , zu mehren. Überdies weder durch Gelübde noch Klausur eingeengt, scheuten sie weltlichen Prunk weniger als alle anderen Orden und waren über die verwickelten venezianischen Verhältnisse so gut unterrichtet, dass sie in der Konversation mit den Damen und Herren würdig bestehen konnten. Die Pförtnerin hatte also für diesen Abend ihren vertrauten Platz am Guckloch verlassen, und die beiden Torflügel der Pforte standen den Vorübergehenden einladend offen; die in ihrer klösterlichen Schlichtheit an sich schon schöne Vorhalle war über und über mit Damast und Blumen geschmückt; die brennenden Wachskerzen auf zweiarmigen silbernen Leuchtern, die Rosen-, Geranien- und Veilchensträuße hier und da und der letzte Widerschein des Sonnenuntergangs, der im Violett der Vorhänge noch einmal aufflammte, brachten jene in Farben und Düften einzigartige Stimmung hervor, die frommen Gemütern so lieb und vertraut ist. Aber wenn die Vorhalle kraft solch religiösen Zaubers etwas Klösterliches ausstrahlte, wirkte der Sprechsaal umso erstaunlicher, denn dort durchdrangen Heiligkeit der Klausur und weltliche Lebenslust einander auf eine Weise, dass man meinen konnte, es sei dies ein Fleckchen vom Paradies auf Erden. In der Mitte sah man in unterschiedlichsten prachtvollen Toiletten jüngere und ältere Damen der Aristokratie in Grüppchen beieinanderstehen; und dort, inmitten all des Glanzes von Juwelen und entblößten Busen, die braune Ordenstracht irgendeiner kleinen Nonne, allerdings aus feinstem Tuch und so geschnitten, dass die reizende Gestalt darin ganz vorzüglich zur Geltung kam; weiter drüben fein geputzte, parfümierte und gepuderte Kavaliere mit Mantel und Degen, wie es damals hieß; den nutzlosen Degen schräg hinter den Beinen baumelnd, den weißen Mantel über dem Arm und den kleinen Fächer in der Hand, stolzierten sie wie die Pfauen im anmutigen Schwarm der Jungfern umher; und da wurde im Schatten der Hüte und Fächer insgeheim gelacht, spitze Bemerkungen flogen hin und her, ebenso Blicke und Lächeln; doch alles völlig harmlos, denn hinter halb geschlossenen Lidern döste dort hinten eine ehrwürdige Klosterschwester. Überall ringsum an den Wänden saßen auf hohen Stühlen aus schwarzem Maroquinleder Mütter, Väter, Onkel und Vettern; ihnen zur Seite noch unreife, aber aufgeweckte und schwatzhafte Mädchen; Wesen, so schmächtig wie Schattengewächse, doch voller Feuer und Schalk auf dem Grund der Augen; junge Dinger mit scheuen Blicken, aber verstohlenem, wissendem Grinsen. Und zwischen alldem glitten schwatzend, lauschend, lächelnd, Kerzen putzend, Erfrischungen reichend acht oder neun Klosterschwestern unterschiedlichen Alters und Aussehens hin und her, allen aber lag der Ausdruck von Festtagsfreude auf dem Gesicht und die heitere Zufriedenheit klösterlichen Lebens.
« Nur zu, Marchesa, ein Schlückchen von diesem Rosolio...! Ein wahres Labsal in unserem Alter, Sie werden sehen! Exzellenz Carletto, Sie wollen doch nicht etwa dieses Konfekt verschmähen...? Wo ich es doch selbst zubereitet habe? Wie, Don Zefirino kommt heute nicht? Dabei hatten wir Eiermilch für ihn geschlagen! Ach, Contessa, sehen Sie nur diesen kleinen Cavaliere dort, wie er sich mit Blicken nach Ihrer Tochter verzehrt...! Ach, man könnte glatt... Donnerwetter...! Hören Sie, ich meine...! Was sagt man da, dieser Cavaliere! Apropos, wie ist es denn ausgegangen mit der Ärmsten ...? Denkbar schlecht, na ja, versteht sich...! Armes junges Ding, das musste ja so enden, bei dem Lebenswandel!»Solcherart waren die Gesprächsthemen der ehrwürdigen
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