Ein Fall zu viel
sie traurig. »Es ist zu spät.«
Jedes Wort hallte in ihm nach und schien seinen Magen erneut in Schwingungen zu versetzen. Am liebsten wäre er aufgesprungen, hätte Marianne umfasst, sie geschüttelt, bis sie ihm eine andere Antwort geliefert hätte. Danach hätte er ihr Haar gestreichelt, ihren Hals geküsst … Nein, diesen Wunsch durfte er auf keinen Fall zu Ende denken. Ohnehin tat alles weh genug.
»Wenn du magst, nehme ich unsere alten Sessel mit und du kannst den neuen behalten«, durchschnitt sie seine Gedanken, und in gewisser Weise auch seine Eingeweide. »Falls es dir lieber ist, machen wir es genau anders herum.«
Plötzlich stieg ungeheure Wut in ihm hoch. Er hatte hier gesessen, um sich seinen wohlverdienten Feierabend zu gönnen, und nun kam sie daher und zog ihm den Sessel unterm Hintern weg, den dusseligen Sessel und sein ganzes bisheriges Leben dazu. Er wollte losbrüllen, aber dann traf sein Blick ihre Augen. Die hatten sich erneut mit Tränen gefüllt. Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie die Aufteilung der Möbel nur angesprochen hatte, um das Gespräch auf eine vermeintlich sachliche Ebene zu ziehen. Andernfalls würde ihr die Kontrolle über ihre Gefühle völlig entgleiten.
»Denk in Ruhe darüber nach«, sagte sie gepresst. »Ich fahre jetzt zu unserem Sohn und bringe es ihm schonend bei.«
Ehe er die richtigen Worte für eine Erwiderung fand, hatte sie ihn schon verlassen. Für einen Augenblick fühlte er sich in einer Art Niemandsland zwischen zwei Welten, dann kehrte er langsam in die Wirklichkeit zurück. Sein Blick wanderte zum Schnaps, seine Hände schenkten ein. Sein Hals spürte keine Wärme, als der Wodka die Kehle hinunterrann. Während die Flasche sich unaufhaltsam leerte, wünschte er sich weit weg von diesem Ort, den er nicht mehr als sein Zuhause empfand. Für einen Augenblick dachte er an die Liste, die er noch nicht angefertigt hatte. Zu seinem Erstaunen konnte er sich gut vorstellen, dass bei Marianne das Positive eindeutig überwogen hätte. Mit einem Ruck knallte er das letzte Glas auf den Beistelltisch, dann stand er auf.
ENDE
Die Autorin
Irene Scharenberg ist in Duisburg aufgewachsen und hat hier Chemie und Theologie für das Lehramt studiert. Vor einigen Jahren hat sie die Leidenschaft fürs Schreiben entdeckt. Seit 2004 sind zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften erschienen und in Wettbewerben ausgezeichnet worden. 2009 ge hörte die Autorin zu den Gewinnern des Buchjournal-Schreib wettbewerbs, zu dem mehr als 750 Geschichten eingereicht wurden.
Irene Scharenberg ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Auch wenn sie heute am Rande des Ruhrgebiets in Moers lebt, so ist sie doch nach wie vor ihrer alten Heimat Duisburg und dem gesamten Pott sehr verbunden.
Ein Fall zu viel ist ihr vierter Kriminalroman.
Alle Rechte vorbehalten,
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© Prolibris Ver lag Rolf Wagner, Kassel, 2013
Tel.: 0561 / 766 449 0, Fax: 0561 / 766 449 29
Lektorat: Anette Kleszcz-Wagner / Pamela Levertz
Korrektorat: Christiane Helms
Titelfoto: © Rafael Pavon, Velbert
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN: 978-3-95475-090-0
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich. 978-3-95475-076-4
www.prolibris-verlag.de
Mein besonderer Dank gilt:
Joachim Scharenberg
Gunda Plewe (Textagentur Plewe)
Juliane Kraus (Textbüro Mülheim)
Heike Bewernick
Doris Krüger
Nicole Miethe
sowie meinen Lektorinnen
Pamela Levertz und Dr. Anette Kleszcz-Wagner
für Anregungen, konstruktive Kritik und Korrektur.
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