Ein Fall zu viel
Pause.
Pielkötter hielt förmlich den Atem an. Sein Mitarbeiter auch, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Sein Teint hatte eine unnatürliche Farbe angenommen. Unaufgefordert reichte ihm Tiefenbach einen Wattebausch mit einem Eukalyptus-Extrakt. Dankbar presste Barnowski sich das ätherische Öl unter die Nase.
»Seit einiger Zeit gibt es diesen besonderen Service für meine Besucher«, erklärte Tiefenbach grinsend. »Zumindest für die mit einer empfindlichen Nase. Ich selbst benutze das Zeug nicht mehr seit dem fünften Semester.«
Pielkötter stöhnte innerlich. Wann kam der gute Tiefenbach endlich zum Punkt? Wenn das so weiterging, würde er vor Neugier platzen. Dann hätte der Rechtsmediziner noch mehr zu tun, als Barnowski mit Minze oder Eukalyptus auszuhelfen.
Tiefenbach rieb sich die Hände »Ich weiß zwar nicht, ob euch das sehr erstaunt, aber ich bin ziemlich sicher, Sandra Sölle wurde ermordet.«
»Hab ich’s doch geahnt«, sprudelte es aus Pielkötter heraus. »Und ich kann mir auch schon denken, wer als Mörder infrage kommt.«
»Fein. Dann ist der so gut wie überführt.«
Barnowskis Augen weiteten sich. Immerhin schien es ihm wieder besser zu gehen.
»Ich habe Hautpartikel unter den Fingernägeln der Toten gefunden«, erklärte Tiefenbach nun mit einem gewissen Triumph in der Stimme. »Und die stammen nicht von ihr.«
»Und wenn sie einen Freund hatte, der auf Sado-Maso steht?«, war Barnowski fast wieder ganz der Alte.
»In diesem Fall müssen die es aber nicht allzu lange vor ihrem Ableben getrieben haben. Die Dame war nämlich sehr gepflegt. Mit Schmutz unter den Nägeln wäre die nicht tagelang rumgelaufen.«
»Du verheimlichst uns noch was«, schaltete sich Pielkötter ein. »Das sehe ich dir doch an.«
»Einem guten Ermittler macht man wohl so leicht nichts vor«, stöhnte Tiefenbach. »Na ja, dann lasse ich die Bombe mal platzen. Unser Opfer hatte nicht nur Morphin im Blut, sondern auch Ketamin.«
»Wird als Narkosemittel verwendet«, kommentierte Pielkötter. »Zudem ist es ein Bestandteil von K.-o.-Tropfen.«
»Genau. Und das spricht zweifelsfrei dagegen, dass sich Sandra Sölle selbst umgebracht hat. Welcher Selbstmörder setzt sich vorher mit K.-o.-Tropfen schachmatt, damit er möglichst die Vene nicht trifft.« Tiefenbach lachte. »Wahrscheinlich hat der Mörder ihr auch noch andere Substanzen in den Drink gekippt. Ich nehme an GHB, also Gamma-Hydroxy-Buttersäure oder GBL. Leider sind diese infrage kommenden Substanzen nicht lange nachweisbar. Da nützt das beste Analyseverfahren nichts.«
»Immerhin war der Täter nicht schlau genug, nur diese Stoffe zu benutzen«, meldete sich Barnowski nun wieder zu Wort. Offensichtlich ging es ihm inzwischen besser. Trotzdem hätte er es sicher bevorzugt, darüber in Tiefenbachs Büro weiterzudiskutieren.
»Oder er hatte nicht genügend Zeit, um den Mord sorgfältig zu planen«, bemerkte Pielkötter nachdenklich. »Möglicherweise ist Sandra Sölle ganz unerwartet zu einer Gefahr für ihn geworden, und er musste sehr schnell handeln. Dabei schleichen sich natürlich gerne grobe Fehler ein.«
»Insgesamt bin ich überzeugt, dass hier kein echter Profi am Werk war. Aber das dürfte ja ganz in eurem Sinne sein.«
»Was ist mit der DNA-Analyse?«
»Läuft bereits. Das Ergebnis liegt spätestens übermorgen vor. Mit etwas Glück habt ihr bis dahin die DNA des möglichen Täters. Soviel ich deiner Andeutung entnehmen konnte, hast du schon jemanden im Visier.«
»Allerdings. Doktor Gerstenschneider, ihren Chef. Wer sonst hätte Zugang zu der Praxis gehabt? Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass Sandra Sölle sich dort abends mit jemandem verabredet hat. Bleibt nur zu hoffen, dass der Staatsanwalt mitspielt.«
»Wollt ihr noch einen Blick auf das Opfer werfen?«, fragte Tiefenbach.
Während Pielkötter nickte, verdrehte Barnowski die Augen.
43. Kapitel
»Langsam mache ich mir Sorgen um Sie«, sagte Barnowski, als er Pielkötters Büro betrat. »Was Privates oder fährt uns der allseits geschätzte Lochhausner wieder voll in die Karre?«
»Bitte erwähnen Sie den Namen heute nicht mehr in meiner Gegenwart«, erwiderte Pielkötter wütend.
»Lassen Sie mich raten. Wir sind so gut wie am Ziel, aber Loch … also, unser Staatsanwalt will keinen Haftbefehl beantragen.«
»Sie sagen es. Die DNA-Analyse liegt bei mir auf dem Tisch. Wie erwartet ist der Täter männlich. Alle Spuren laufen in der Praxis zusammen. Doktor
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