Die Staufer und ihre Zeit
VORWORT
Wer sich mit den Königen und Kaisern aus dem Geschlecht der Staufer befasst, gerät in eine höchst widersprüchliche Epoche: Es ist die Zeit der Kreuzzüge, der brutalen Ritterschlachten, der Leibeigenschaft und des Aberglaubens. Gleichzeitig werden in diesen beiden Jahrhunderten des hohen Mittelalters wichtige Fundamente der Moderne gelegt: Die Anfänge unseres Rechtssystems entstehen, die Ausübung hoheitlicher Macht wird konstitutionell begründet, Logik und Vernunft ziehen in die Denkschulen ein, schwärmerische Liebe und Traurigkeit in die Dichtkunst. Nicht nur imposante Burgen werden gebaut, sondern viele Städte gegründet, die durch Geldwirtschaft und Handel prosperieren und neue Berufe, neue Schichten entstehen lassen. Es ist eine mobile Zeit, in der immer mehr Kuriere, Gesandte und Kaufleute die Alpenpässe nach Italien überqueren, auch hier regieren die Staufer als römisch-deutsche Kaiser. In der Zeit ihrer größten Machtentfaltung spannt sich ihr Reich von Lübeck bis Palermo. Damals beginnt sich Europa mit seinen zentralen Staaten zu formen.
Wie fortschrittlich, wie innovativ waren die Staufer? Wie weit kam Friedrich I. Barbarossa in seinem Kampf, die unerhörte Macht der Päpste zurückzudrängen? War Friedrich II. wirklich »der erste moderne Mensch auf dem Thron«, wie der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt schwärmte? Warum wurde ausgerechnet dieses Geschlecht schwäbischer Herzöge so mächtig, so bekannt bis heute wie keine andere Dynastie des Mittelalters? Kein Ottone, kein Salier, kein Luxemburger konnte es je an Popularität mit ihnen aufnehmen. Wie sah das Reich aus, das sie beherrschten – und woran scheiterten sie letztlich?
Diesen Fragen gehen die Autoren des vorliegenden Buches nach – in umfassenden Porträts der großen Staufer Friedrich I. Barbarossa und Friedrich II., Dichterfürst und Falkenliebhaber, in historischen Analysen, die den Konflikt zwischen Staufern und Päpsten, zwischen König und Fürsten, zwischen deutschem Kaiser und rebellischen italienischen Städten beleuchten. Sie beschreiben, wie im Mittelalter Politik gemacht wurde, als Demutsgesten und Bußrituale feste Bestandteile der diplomatischen Kunst waren. Die Historiker Stefan Weinfurter und Wolfgang Stürner zeichnen die großen Entwicklungslinien nach – bis zu den Grenzen der Staufermacht.
SPIEGEL-Redakteure haben sich auf historische Spurensuche begeben und faszinierende Geschichten mitgebracht, etwa aus Palermo in Sizilien, wo Friedrich II. aufwuchs und später herrschte, oder aus der oberitalienischen Metropole Bologna, deren traditionsreiche Universität damals Kaderschmiede der gerade entstehenden Jurisprudenz war.
Das Buch widmet sich aber auch dem Alltag der staufischen Untertanen auf dem Land, in aufstrebenden Städten wie Lübeck und in den Burgen, wo es sich gar nicht so angenehm lebte. Dies erwies sich als schwierige Recherche, bei der viele Details im Dunkeln blieben, denn Geschichtsschreibung im Mittelalter ist meist Herrscher-Berichterstattung – für Bauern und Schmiede interessierte sich kaum ein Chronist.
Die Historiografen dienten auch den staufischen Kaisern, die schon sehr genau wussten, wie PR funktioniert. Sie hielten sich Hofschreiber, die ihre Taten glorifizierten. Damit trugen sie selbst dazu bei, dass sie früh zum Mythos wurden. Die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts machte Barbarossa schließlich zur deutschen Heldengestalt, Kinder erfuhren aus Grimms Märchenbüchern vom sagenhaften Kaiser Rotbart im Kyffhäuser, der schläft, bis er einst bessere Zeiten und ein geeintes Reich bringen wird.
Warum interessieren uns die Staufer noch heute? Wer anfängt zu lesen, wird es schnell erfahren: Die Geschichten aus der Welt der legendären Friedriche sind nicht nur hoch spannend, sie helfen uns, die Entwicklung unserer Welt zu verstehen, unserer heutigen politischen und gesellschaftlichen Ordnung.
Hamburg, im Herbst 2010
Annette Großbongardt, Dietmar Pieper
TEIL I
HERRSCHER
KAISER UND MESSIAS
Schon im Mittelalter werden die Staufer-Kaiser zum Mythos – meist verherrlicht, aber auch verteufelt. Barbarossa entwickelt sich zum Helden der Deutschen, vor der Reichsgründung 1871 verkörpert er die politische Sehnsucht der Nationalbewegung.
Von Annette Großbongardt
Fünf Jahre lang gruben sich die Fürstlich-Schwarzburgischen Kumpel nun schon in den Berg am Südwestrand des Kyffhäuser-Gebirges, ganze 178 Meter tief hatten sie sich hineingearbeitet, doch den
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