Ein Freund des Verblichenen
Jahren aufgenommen worden: Ich, inmitten einer fröhlichen Teenagergruppe. Danach hatte anscheinend niemand mehr ein Foto von mir gebraucht, oder meine Freunde hatten einfach das Interesse am Fotografieren verloren. Ich legte zwei Fotos beiseite, auf denen ich in Großaufnahme zu sehen war. Eins im Puschtscha-Wodiza-Park mit einer Flasche Portwein, das zweite bei einem Picknick irgendwo in Swjatoschino an einem Lagerfeuer, das mit schwarzweißer Flamme brannte. Als ich zum Spiegel ging und mich mit den Personen auf den Fotos verglich, begriff ich, daß man solche Fotos nur für den Fall weggeben kann, daß man nicht erkannt und nicht gefunden werden will. Irgendwo lagen noch acht Paßfotos, die ich vor drei Jahren in der unerfüllten Hoffnung, Fahrstunden zu nehmen und den Führerschein zu machen, hatte anfertigen lassen. Auf denen erkannte man mich auch nicht.
Ich trank einen Nescafé, stopfte die Fotos wieder in die Schachtel und zog zum nächsten Fotoatelier los.
Der alte Fotograf peinigte mich mit Vorwürfen wegen meines Kinns.
»Wollen Sie schön aussehen, oder weshalb lassen Sie sich fotografieren?« stieß er schließlich hervor, nachdem ich etwas Unzufriedenes gebrummt hatte.
Nachdem er endlich mit seinem Fotoapparat auf einem Dreibeinstativ losgeknipst hatte, gab er mir einen Abholtermin in drei Tagen.
»Entschuldigen Sie!« bat ich. »Ich brauche die Fotos morgen. Unbedingt morgen!«
Er zuckte mit den Schultern.
»Unbedingt?«
»Ja.«
»Dann kommen Sie morgen nachmittag. Aber bringen Sie irgend etwas mit für den Expreßdienst. Ich möchte kein Geld – wer braucht heute schon Geld?!«
Ohne nach Hause zurückzukehren, ging ich zur Straßenbahnhaltestelle. Ich beschloß, in die Stadt zu fahren und herumzubummeln. Eben einfach herumzubummeln, wie ich im Prinzip mein ganzes Leben herumgebummelt hatte. Ich wollte ohne besonderes Ziel, ohne jede Eile ins Café gehen und vielleicht alte Bekannte ausfindig machen.
Als ich auf dem Kreschtschatik war, wurde mir das unterbewußte Ziel meines heutigen Bummelns klar – ich mußte für Kostja ›Instruktionen‹ vorbereiten. Das heißt, ich mußte ihm mitteilen, an welchen Orten und zu welcher Zeit sich sein zukünftiger Klient aufhält. Folglich mußte ich entscheiden, welches Café ich am häufigsten aufsuchte. Und wenn ich dieses Café bestimmt hatte, mußte ich dahin gehen und darauf warten, daß man mir in den Rücken oder in den Hinterkopf schießen würde, obwohl das keine der angenehmsten Beschäftigungen ist. Ich war kein Masochist. Hätte ich mir bloß etwas Menschlicheres ausgedacht!
Ich lief zur Bolschaja-Shitomirskaja-Straße und betrat ein Kellercafé neben dem Brotladen. Dort war es dämmerig und menschenleer.
Ich bestellte einen Kaffee und begann nachzudenken.
Nach der dritten Tasse formierten sich meine Gedanken zur Kampfaufstellung und eroberten im Sturm die gestellte Aufgabe. Ich war sogar stolz auf sie, als wenn sie in keinerlei Beziehung zu meinem Kopf stünden. Alles Geniale ist einfach – das bewies sich wieder einmal. Ich wußte, was zu tun war, und die daraufhin eintretende Erleichterung schwächte sogar die Wirkung des Koffeins auf meinen Organismus ab. Ich entspannte mich.
Ich mußte nur noch das Café aussuchen, in dem ich getötet werden wollte, und den Zeitpunkt für dieses effektvolle Ereignis bestimmen. Jemanden an einem öffentlichen Ort zu töten ist natürlich schwierig. Und dann zu verschwinden, unerkannt wegzugehen, ist auch keine der leichtesten Aufgaben, aber das sind nicht meine Probleme. Er ist ein Profi – soll er es ruhig beweisen. Obwohl, wenn sie ihn fassen und an den Tag kommt, daß er einfach nur den Liebhaber irgendeiner verheirateten Frau getötet hat, dann wird mein postumer Ruhm sehr darunter leiden, und mein Tod wird eher ein Witz als eine Tragödie sein. Nein, man mußte für ihn alle Bedingungen schaffen, daß er unerkannt entkommen konnte. Man sollte meinen Mörder nie finden und nie den Grund des Verbrechens aufdecken. Aber wie? – Ich brauchte noch einen Kaffee.
Wieder ging ich zur Theke.
»Noch einen Mokka?« fragte die Kellnerin.
»Nein, diesmal einen einfachen.«
Ich trank meinen Kaffee, nur daß ich diesmal zwei Zuckerwürfel nahm statt wie üblich einen. Und wieder dachte ich nach und sortierte in Gedanken alle mir bekannten Cafés, um herauszufinden, in welchem abends die wenigsten Besucher waren. Hier in diesem Keller waren abends grundsätzlich höchstens zwei oder drei
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