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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Ihr Kommen weckte mich und ärgerte mich jedesmal. Und selbst wenn es mich nicht weckte, reizte es mich um so mehr. Sie strömte keinerlei Wärme aus, und allein der Gedanke an eine Frau, die keine Wärme gibt, erboste mich, besonders wenn ich konkret an sie dachte, an diese Frau, mit der ich lebte.
    Mittwoch abend beschloß ich, selber in der Stadt zu bleiben. Ich hatte ein wenig Geld und eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie ich es ausgeben wollte – ich wollte es versaufen. Aber nicht als Solist, mindestens im Duett sollte es sein. Die ideale heilige Zahl ›drei‹ hätte mich noch mehr gefreut, natürlich nur, wenn diese drei gute Bekannte gewesen wären. Zufällige Saufkumpane mochte ich nicht. Gegen sieben fuhr ich zum Kontraktowaja-Platz, wo ich in einem der Geschäfte ein paarmal meinen früheren Klassenkameraden Dima Samorodin durchs Fenster beobachtet hatte. Seit der Schulzeit hatten wir uns nicht mehr getroffen, und als ich ihn entdeckte, hatte er mich auch nicht gesehen, er bediente gerade ein paar Kunden. Deshalb schien mir, er würde sich über ein plötzliches Wiedersehen freuen, um so mehr, da wir uns in der Schulzeit gut verstanden hatten. Denn nichts verbindet die Menschen mehr als eine gemeinsame Vergangenheit, sei es die Schule oder das Gefängnis.
    Meine Vermutungen bestätigten sich. Als ich wie ein Käufer in Gedanken versunken das Geschäft betrat, erkannte er mich und stieß einen Freudenschrei aus. Während er nebenbei tatsächliche Kunden bediente, stellte er mir zwischendurch eine Menge Fragen über unsere früheren Klassenkameraden, wollte wissen, wann ich wen das letzte Mal gesehen hatte und was wer jetzt machte. Besondere Freude konnte ich ihm nicht bereiten. Während all dieser Jahre hatte ich alles in allem nur fünf, sechs zufällige Begegnungen in öffentlichen Verkehrsmitteln mit den Freunden unserer Kindheit gehabt, was ich ihm auch erzählte.
    »Warte eine halbe Stunde«, bat er. »Der Chef kommt die Tageseinnahmen abholen, dann schließe ich ab, und wir können es uns hier in Ruhe gemütlich machen …«
    Ich stimmte freudig zu. Aber im Geschäft wollte ich nicht warten und zog los, um im Podol-Viertel spazierenzugehen. Grelle Lichter und Neonlinien dümmlich benannter Cafés und Restaurants durchbrachen die abendliche Dunkelheit. Ich entfernte mich aus dem Lichtkreis der wegweisenden Reklamen und Beleuchtungen und setzte mich auf eine Bank neben das Denkmal des ersten ukrainischen Buddhisten, Grigorij Skoworoda. Auf den Nachbarbänken küßten sich glückliche Silhouetten, die die Dunkelheit des unbeleuchteten Denkmals ausnützten. Nur ich küßte niemanden neben dem Denkmal und fühlte mich wie aussortiert. Was ist so schlecht an mir? Ich bin noch jung, sympathisch, nicht dick. Ich kann noch für attraktiv gelten. Natürlich liegt es an mir. Keine Frau wird als erste auf mich zugehen mit der Frage ›Erlauben Sie, daß ich Sie küsse?‹. Was ist los mit mir? Noch vor fünf Jahren liebte ich es doch, die Frauen mit ähnlichen Fragen zu verblüffen. Und jetzt?
    Als ich in das kleine Geschäft zurücckam, waren keine Kunden mehr da.
    »In Ordnung«, sagte Dima. »Die Tageseinnahmen sind abgeholt. Wir können schließen.«
    Er verhängte die Schaufenster, verschloß die schwere Eisentür, und wir schnitten uns in diesem Geschäft von der Außenwelt ab, wir befanden uns gleichsam in der Kabine einer Kosmonautenkapsel, nur daß es angesichts der vielen Flaschen und Konservendosen auf den Regalen zumindest ein westliches Raumschiff sein mußte.
    Dima plazierte mich an einen weißen Plastiktisch und ging zu den Regalen.
    »Was trinken wir?« fragte er.
    ›Alles hier ist meins, alles hier ist deins‹, kam mir in den Sinn.
    »Komm, genier dich nicht!« ermunterte Dima mich, vor einer Reihe Flaschen stehend. »Ich lade dich ein. Als Prämie habe ich sozusagen zwei Flaschen am Tag frei, und was ich mehr brauche, kriege ich billiger …«
    »Dann Whisky«, sagte ich.
    Den Whisky tranken wir, wie andere Wodka trinken, aus kleinen Kristallgläsern immer auf ex. Die Gläser hatten wir zu diesem Zweck zwischenzeitlich aus dem Verkaufsangebot geborgt.
    »Shenka Dolgoj habe ich das letzte Mal vor drei Jahren gesehen«, erzählte Dima. »Er arbeitete als Fleischer in einem Delikatessengeschäft an der Oper. Und Tschemeris ist nach Wolgograd gezogen. Der hatte zuletzt eine fürchterliche Glatze …«
    »Und ich habe mal Galja Kolesnitschenko getroffen …«, teilte ich mit. »Hier, im

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