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Ein Freund des Verblichenen

Ein Freund des Verblichenen

Titel: Ein Freund des Verblichenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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    Wenn ich rauchen würde, wäre alles leichter. Nach jedem kleinen, von außen betrachtet unbedeutenden und unverständlichen Ärgernis würde der Rauch von ein paar Zigaretten und das Nikotin für kurze Zeit zwar nicht gerade den Sinn oder Geruch des Lebens ausmachen, aber sie wären doch eine Art Ablenkung, eine Selbstbeweihräucherung, und das würde mir helfen, wieder einmal mit Freude auf mein zukünftiges Leben zu blicken. Aber ich habe nie geraucht und denke, mit dreißig Jahren damit anzufangen, ist entweder kindisch oder blöd.
    Der Regen wollte und wollte nicht fallen. Es dämmerte. Meine Frau hatte sich im Badezimmer eingeschlossen, aber sie badete einfach nur wie gewöhnlich. Ich schließe mich auch manchmal im Bad ein, obwohl – wieso sollte ich mich eigentlich vor meiner Frau schämen. Genau diese Frage erklärt auch schon den Grund – wir haben uns schon seit langem voneinander entfremdet. Wenn wir abends schlafen gehen, ziehen wir uns im Dunkeln aus, und tagsüber oder wenn wir bei Licht baden, schämen wir uns unserer Nacktheit. Nacktheit bedeutet Verletzlichkeit. In dem Punkt würde meine Frau dasselbe sagen. Aber ich bin auch verletzlich, und meistens wurde ich von ihr verletzt. Wir reden nicht mehr darüber, obwohl wir früher versucht haben, alles mit Worten zu klären und zu verbessern.
    Der Herbst ist die Zeit der vergehenden Wärme, der Beginn der Jahreszeit, in der man die vergangene Wärme für den nahenden Winter aufbewahren muß, um nicht zu frieren. Es war Zeit, die Fensterritzen und Balkontüren zu verkleben. Die Zeit, wenn die Natur selber uns noch hilft, über unsere physische und psychische Gemütlichkeit nachzudenken, sie zu pflegen oder zu steigern. Aber was bedeutet der September für uns? Nichts. Wir schweigen, unterhalten uns in Interjektionen. Jeder kocht sich seinen Kaffee allein und brät sich seine Rühreier.
    Es war Zeit, Schluß damit zu machen. Zurückziehen konnten wir uns nicht – eine Einzimmerwohnung kann man schlecht halbe-halbe aufteilen.
    Jedesmal, wenn ich aus dem Fenster unseres achten Stocks sah, überkam mich die Lust, vom Dach ins Wasser zu springen. Aber sie gab mir nicht den erforderlichen Impuls zu springen. Ich war kein Typ für Selbstmord. Das Leben außerhalb, jenseits meines Seins, gefiel mir sehr. Manchmal ging ich leicht aufgekratzt über den Kreschtschatik-Platz, betrachtete die abendlichen Gesichter der Mädchen, die auf den Bänken oder bei dem Springbrunnen vor dem Kino auf ihre Klienten warteten. In der Dämmerung, bei der künstlichen Stadtbeleuchtung sahen sie sehr anziehend aus, wie gemalte, vielversprechende Silhouetten, die einen normalerweise von kitschigen, billig aufgemachten Buchdeckeln anblicken. Ich konnte mir mich gut als ihr Kunde oder sogar als naher Freund vorstellen. Aber sich etwas vorstellen heißt noch lange nicht, es zu sein. Dazu fehlte mir viel: Entschlossenheit, Geld, Freiheit. Aber sie gaben mir, wie ein Vorbote, der von der Leinwand des american way of life herabstieg, Hoffnung darauf, daß auch andere süße amerikanische Bilder lebendig werden und hier in Kiew um mich herumflimmern würden, und ich war begeistert von diesem Flimmern, das allmählich zum Leben erwachte und das frühere Leben mit allen seinen provisorischen und langweilenden Details verdrängte, jeden Bestandteil, jeden Zeitungsartikel, der es ausführlich beschrieb, auslöschte.

2
    Als Student der Fremdsprachenuni war ich gern mit Ausländern zusammen. Von ihnen lernte ich Sprachen und ein anderes Verhältnis zum Leben. Sie unterschieden sich von uns wie ein Steinpilz von einem Igel. Unsere innere Verschiedenheit könnte man nur ganz äußerlich vergleichen, in der Art des oben angeführten Beispiels. Sie hatten eine andere Kindheit gehabt, andere Spiele gespielt. Sie erzählten mir von einem Spiel, das vielleicht irgendwann einmal nach mehreren Generationen die Kinder ohne sowjetische Kindheitserfahrung ergötzen wird. Das Spiel ist ganz einfach: Man muß sich eine Kette von Bekannten ausdenken, die einen zum Beispiel zur Königin von England bringt oder zu Margaret Thatcher – die war zu der Zeit aktueller. Es stellte sich heraus, daß fast jeder Spieler mit Hilfe von drei, vier Leuten, die ihn weiterverbanden, bis zum englischen Premierminister vordringen konnte. Ein lächerlich einfaches Prinzip – ich kenne ihn, er kennt sie, sie kennt noch jemanden, jemand kennt ihn oder sie persönlich. Ich versuchte damals auf dieselbe Art und Weise auf

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