Ein Ganz Besonderer Fall
sei mit Euch, Brüder!« sagte Cadfael, während er sie neugierig beäugte. »Wollt Ihr unser Haus hier in Shrewsbury besuchen?«
»Und mit Euch, Bruder«, sagte der vordere Reiter. Er sprach mit voller Stimme, die ein wenig rasselte, als hallte in der Brust seines Reittieres ein knirschendes Echo. Cadfael spitzte bei diesem Geräusch die Ohren. Er hatte den Atem vieler alter Männer, die lange Zeit den Unbilden der Natur ausgesetzt gewesen waren, auf die gleiche Weise knirschen und nachhallen gehört, aber dieser Mann war nicht alt. »Gehört Ihr zum Haus von St. Peter und St. Paul? Ja, wir wollen Eurem Herrn Abt Briefe überbringen. Ich vermute, dies hier ist die Grenzmauer? Dann haben wir es nicht mehr weit.«
»Ganz nahe ist es«, sagte Cadfael. »Ich werde mit Euch gehen, denn ich will ohnehin nach Hause. Kommt Ihr von weit her?«
Er blickte in ein hageres, verschlossenes Gesicht, fein geschnitten und befehlsgewohnt, mit tiefliegenden, dunklen und sehr ruhigen Augen. Die Kapuze war auf die Schultern des Fremden zurückgeworfen, und der schmale, knochige Kopf trug den Kranz aus glattem schwarzem Haar wie eine Krone. Ein großer Mann war er, sehnig und abgemagert. Er trug den letzten Schatten einer Sonnenbräune, die aus einem heißeren Land als England stammte, einen Bronzeton, der nur in langen Jahren entstanden sein konnte; doch schien die Farbe etwas blaß und kränklich, und obwohl sich der Mann im Sattel hielt, als wäre er dort geboren, verrieten seine Bewegungen eine Mattigkeit und sein Gesicht eine klaglos hingenommene Müdigkeit, eine Art heitere Resignation, die eher zu einem alten Mann gepaßt hätte. Dieser Mann mochte Ende Vierzig sein, aber gewiß nicht viel älter.
»Recht weit«, erwiderte er mit einem schmalen, düsteren Lächeln, »doch heute nur aus Brigge.«
»Und wollt Ihr noch weiter? Oder werdet Ihr eine Weile bei uns bleiben? Ihr seid als Gäste herzlich willkommen, Ihr und der jüngere Bruder.«
Der jüngere Reiter hielt sich schweigend ein wenig abseits wie ein Diener, der pflichtbewußt auf einen Wink seines Herren wartet. Er war kaum über Zwanzig, geschmeidig und groß, aber sicher immer noch einen Kopf kleiner als sein Gefährte, wenn sie nebeneinander standen. Er hatte das längliche, glatte Jungengesicht, das zu seinen Jahren paßte, wohlgeformt und fest über den ebenmäßigen Knochen. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen; vielleicht, um sich vor dem Glanz der Sonne zu schützen. Große, beschattete Augen blickten aus der Kapuze und ruhten aufmerksam auf seinem älteren Gefährten.
Der einzige Blick, der Cadfael traf, war rasch und verstohlen.
»Wir würden gern eine Weile bleiben, wenn uns der Herr Abt Zuflucht gewährt«, sagte der Ältere, »denn wir haben unser Heim verloren und müssen um Aufnahme in einem anderen bitten.«
Sie schritten gemächlich weiter, die Hufe der Maultiere warfen den feinen Staub der Straße auf. Der junge Mann ließ sich artig zurückfallen. Die Grüße, die an Cadfael als alten Bekannten und an seine Begleiter aus freundlicher Neugierde gerichtet wurden, erwiderte der ältere Mann zurückhaltend und höflich. Der Junge sprach kein Wort.
Links ragten Torhaus und Kirche auf, und die Steine der hohen Mauer reflektierten die Sommerhitze. Der Reiter ließ die Zügel seines Maultiers locker hängen, faltete die langen, braunen Finger seiner von Adern durchzogenen Hände und seufzte tief. Cadfael schwieg.
»Vergebt mir, daß ich so kurz angebunden bin, Bruder. Es ist nicht so gemeint. Aus alter Gewohnheit und nachdem ich so lange die Stille als Begleiterin hatte, wollen die Worte nur schwer herauskommen. Und nach solchem Schrecken, nach dem Feuer der Vernichtung, ist die Kehle zu trocken, um viele Worte zu bilden. Ihr habt gefragt, ob wir von weit her kommen.
Wir sind schon einige Tage unterwegs, denn ich kann heute nicht mehr scharf reiten. Wir kommen als Bettler aus dem Süden…«
»Aus Winchester!« rief Cadfael, der seiner Sache völlig sicher war, da er sich an die Wolke und das Feuer erinnerte.
»Was von Winchester geblieben ist, ja.« Die abgearbeiteten, aber muskulösen Hände blieben ruhig und überließen es Cadfael, das Maultier um das westliche Ende der Kirche und durch den Bogen des Torhauses zu führen. Nicht Kummer oder Mitgefühl waren es, die dem Mann beim Sprechen Schwierigkeiten machten, denn er hatte in seinem Leben gewiß Schlimmeres gesehen als die Dinge, an die er sich nun erinnerte. Seine Stimmbänder knirschten
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