Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Ein Wort vorab
»Wir müssen reden« – so beginnen Gespräche, wenn es in einer Beziehung schwierig wird. »Wir müssen reden« – so haben auch oft unsere Gespräche in den vergangenen Monaten begonnen. Weil unsere Partei, die FDP , in Beziehungsschwierigkeiten steckte – intern, aber auch extern, denn viele Bürgerinnen und Bürger zweifeln an der liberalen Partei.
Die Gründe dafür haben wir am Telefon, bei Mittagessen oder am Rande von Veranstaltungen immer wieder diskutiert. Dabei haben wir zurückgeschaut, vor allem aber haben wir den Blick nach vorn gerichtet: auf die Aufgaben, die Deutschland bewältigen muss – hierzulande, in Europa und in einer neuen Weltordnung. Bei diesen Gelegenheiten entstand die Idee, andere an unserem Austausch teilhaben zu lassen: durch dieses Buch.
Mancher behauptet, der Liberalismus habe sich zu Tode gesiegt. Das Thema des 21 . Jahrhunderts sei nicht mehr die Freiheit, sondern die Begrenzung der Freiheiten. Wir setzen dem entgegen, dass die Übernahme von individueller und gemeinsamer Verantwortung in Freiheit das humanste Prinzip ist, menschliche Gesellschaften zu gestalten. Gerade in einer globalisierten Welt darf der Einzelne im Wirtschaftlichen, Gesellschaftlichen und Privaten nicht vergessen werden. Die Hinwendung zum Menschen und zu seinen Chancen auf ein gelingendes Leben, das ist die bleibende Aufgabe des Liberalismus. Er erkaltet eben nicht in technokratischen Operationen, sondern macht die realisierbaren Lebenschancen zu seinem Maßstab. In diesem Sinne soll dieses Buch ein Brückenschlag sein – hin zu den Bürgerinnen und Bürgern.
Unsere Gedanken erheben weder den Anspruch, ein Grundsatzprogramm zu sein, noch sollen sie als Handlungsanweisungen für unsere Partei verstanden werden. Im besten Fall ist dieser Gesprächsband der Anstoß zu einer Diskussion. In jedem Fall aber ist er eine Einladung, sich mit den Überzeugungen und Überlegungen zweier Freidemokraten aus zwei Generationen auseinanderzusetzen. Auch in diesem Sinne sind die folgenden Kapitel ein Brückenschlag – zwischen einem 85 -Jährigen und einem 34 -Jährigen, zwischen erlebter Nachkriegsgeschichte und gedachter Zukunft, zwischen Tradition und Erneuerung.
Die FDP hat alle Grundentscheidungen der Bundesrepublik Deutschland mitverantwortet und mitgestaltet – für die Soziale Marktwirtschaft, die Westintegration, die Europäische Einigung und die Ostpolitik zur Überwindung der Spaltung Deutschlands und Europas. Immer war unsere Partei dabei Anwalt neuen Denkens. Mehr als einmal haben die Liberalen für ihre Überzeugungen ihre politische Existenz aufs Spiel gesetzt. Diese Tradition, die der Ältere von uns beiden mitgeprägt hat, gibt der FDP das Selbstbewusstsein, auch vor den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft bestehen zu können.
Der Jüngere und seine Generation stehen nun vor historischen Wendepunkten, die weit über die deutschen Grenzen hinausreichen. Die Neudurchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft als Idee einer Verantwortungswirtschaft, faire Aufstiegschancen durch Bildung, die Fortentwicklung der Europäischen Union, die Wahrung der Bürgerrechte in einer digitalisierten Gesellschaft, die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen ohne autoritäre Gebote und die Mitwirkung an einer globalen Kooperationsordnung, die von allen als gerecht empfunden werden kann – über diese Themen sprechen wir, aus unterschiedlichen Perspektiven mit einer gemeinsamen Leidenschaft für die Freiheit. Sie ist unser Brückenschlag.
Hans-Dietrich Genscher im Februar 2013
Christian Lindner
»Wir sind beide Kinder unserer Zeit«
LINDNER
Der 8 . Mai 1945 gilt als Stunde Null der späteren Bundesrepublik, Richard von Weizsäcker hat ihn in seiner berühmten Rede von 1985 einen »Tag der Befreiung« genannt. Wie haben Sie diesen Tag erlebt, wo waren Sie, was fühlten Sie?
GENSCHER
Für mich war bereits der 7 . Mai 1945 meine Stunde Null. Ich war wenige Wochen zuvor erst achtzehn geworden, hatte aber schon mehr als zwei Jahre militärischen Dienst hinter mir, erst als Luftwaffenhelfer, später dann bei der Wehrmacht als Pionier. Ich gehörte zur Armee Wenck, einem General, der in der letzten Kriegsphase den Auftrag hatte, mit seinen Truppen Hitler in Berlin zu befreien. Doch er hielt sich nicht an diesen Befehl, sagte seinen Offizieren: »Ich werde nicht Zehntausende von jungen Soldaten, die mir anvertraut sind, in eine sinnlose Schlacht führen. Ich führe die
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