Ein Haus in Italien
einen steilen Ziegenpfad getragen, den einzigen Zugang.
Aufgrund verschiedener Umstände und sehr viel Trägheit schafften wir es nie, das Haus wieder leerzuräumen. Wir zogen nach Siena, und zwar vor allem, weil Allie und Iseult auf ihrem täglichen Schulweg den Schnee auf dem Ziegenpfad nicht bewältigen konnten. Wir wollten allerdings zum Sommer zurück sein. Aber Venedig kam dazwischen; und dann, ohne jede Vorwarnung, fanden wir San Orsola.
Unser erster Besuch in Umbrien war eine weitere Runde der Villenjagd. Er sollte nur bestätigen, daß die Heilige Römische Schloßruine als Sommerhaus für uns gänzlich ungeeignet war. Manchmal wachte ich mitten in der Nacht auf und wünschte mir, daß die langen Schweineställe einfach nur Schweineställe wären, mit einem hinreißenden, unsichtbaren Schloß dahinter. Es gab Zeiten, da fand ich ein Haus mit Dach unromantisch und meiner Beachtung nicht wert. Ich hatte gelesen, die Marchesa Casati habe in Venedig einen riesigen dachlosen Palast bewohnt, und jahrelang wollte ich nichts lieber, als es ihr gleichtun. Seither hatte ich in großen Häusern gelebt, in denen ich unter großen Schirmen Zuflucht suchen mußte, und der Reiz des offenen Himmels hatte nachgelassen. Nun ging ich langsam, aber nicht widerstrebend auf die mittleren Jahre zu und hatte gelernt, die Bequemlichkeit im Auge zu behalten, und eine ungedeckte Ruine lag ohne Zweifel auf der anderen Seite jenes Lattenzaunes, den ich um meinen Traum gezogen hatte.
Als Handwerker in unsere venezianische Wohnung einrückten, zogen wir vorübergehend wieder nach Siena, wo wir noch einen Mietvertrag für ein dunkles Haus hatten. Dieses Haus hatte selbstredend im Hochsommer traumhaft ausgesehen, voller Blumen, durch offene Fenster und Türen kamen Bienen, Schmetterlinge und zarte Streifen Sonnenlicht. Von September bis Juni sickerte bei Tag eine lähmende Düsternis durch die winzigen vergitterten Fenster, und bei Nacht legte sich auf alles eine grüne Moderschicht. Wegen der deprimierenden Atmosphäre, der Totenwachen-Beleuchtung und eines ständigen Defekts im Stromnetz (wodurch nicht nur alle Geräte, sondern auch die meisten Wände Stromschläge verteilten) nannten wir das Haus den Elektrischen Stuhl. Es geht die Sage, die Römer hätten ihre Gefangenen von einem Felsvorsprung am Rande des Dörfchens in der Nähe unseres Hauses gestoßen, aber nachdem ich versucht habe, in dessen arktischem Mikroklima und unheilvoller Atmosphäre einen Winter zu verbringen, bin ich überzeugt, daß diese antiken Todesfälle Selbstmorde waren.
Vom Elektrischen Stuhl aus nach Umbrien aufzubrechen, schien ein gutes Omen für unser Unterfangen. Wir würden mit allem zufrieden sein, was besser war als das, wo wir jetzt waren, und schwerlich konnte man sich viele Häuser vorstellen, die gräßlicher gewesen wären. Die Fahrt nach Umbrien nahm Züge einer Flucht an. Ich traf erhebliche Vorbereitungen, mehr als für eine Ozeanüberquerung. Die Straßenkarte zeigte sehr deutlich Siena und Perugia (und wie nah sie beieinander liegen), doch mir schien es von größter Wichtigkeit, zu einem Elf-Uhr-Termin mit dem Heilig Römischen Verkäufer vor Tagesanbruch loszufahren.
In Venedig hatte man auf die Neuigkeit, daß wir nach Um
brien führen, um Immobilien anzusehen, verächtlich reagiert, das aber war nur die übliche Verachtung für alles, was nicht zur Lagunenstadt gehörte. Der Sieneser Kellner, der uns am Vorabend unseres Abenteuers das Essen servierte, wurde viel präziser: Die Umbrier seien ein unzivilisierter Haufen Banditen und Bauern, die ihr Essen nie salzten, nicht kochen könnten und unter unansehnlichen Kröpfen litten. Sie beherrschten, wie er uns versicherte, nicht einmal die Grundregeln der Architektur und lebten in Hütten, der Armut, Bären und Wölfen zur Beute. Diese Beschreibung erinnerte an das, was wir über die Toskaner gehört hatten, als wir von der milden ligurischen Küste nach Siena gezogen waren. Bären und Wölfe allerdings waren neu, und ich begann, von einem Bärenhaus zu träumen – einem gotischen Raum mit Steinboden, in dem ein Bär die kurzen Winter verschlafen könnte.
Wir waren fast da, bevor wir losgefahren waren. Bereits um acht Uhr saßen wir in Perugia im Hotel Brufani und stocherten in den Resten eines üppigen englischen Frühstücks. Dieses Etablissement war im vergangenen Jahrhundert speziell nach den Wünschen englischer Touristen gebaut worden. Ich bin mit Byron, Keats und Shelley
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