Ein Haus in Italien
in den Londoner Botanischen Garten in Kew. Die Ferien verbrachten wir mit der Besichtigung vornehmer englischer Landhäuser (gegen eine geringe Gebühr und jeweils für mehrere Stunden). Sonntagabends in Clapham durchkämmte ich mit meiner Mutter und unser beider Größenwahn die Immobilienanzeigen der Sunday Times. Wir phantasierten ständig, mal dieses, mal jenes Schloß zu kaufen und zu beziehen. Über diese Kindheitserinnerungen hatte sich das Bild meines eigenen Traumhauses geschoben; als unsere Wagenkolonne an einer Dreierreihe ehrwürdiger Zypressen vorbei in eine Auffahrt einbog, sah ich das Haus, das ich mein Leben lang gesucht hatte. Es stand da wie eine verschmähte Schönheit, noch immer in ihren alten Sonntagsstaat gekleidet. Die aufgegebene Fassade ächzte unter einer Tonnenlast modellierter Terrakotta. Es hatte reihenweise hohe, elegante Fenster mit weißen Marmorsimsen, es hatte Dutzende von Bögen, eine Loggia, ein Dach, einen Balkon und eine Glyzinienkaskade.
Das erfaßte ich mit den ersten Blicken. Danach war ich, obwohl ich durch eins der fehlenden Fenster stieg und fast eine Stunde lang umherstöberte, so verzückt, daß ich wenig
sah, woran ich mich deutlich erinnern könnte. Das Haus hatte eine freitragende weiße Marmortreppe, die schwindelerregend ohne Balustrade oder Geländer gegen Stürze über vier Stockwerke reichte. Es hatte einen verzierten weißen Marmorkamin, etwa drei Meter hoch, in einer geschwärzten Küche. Es hatte zwei Traktoren, einen Mähdrescher und einen Lastwagen, die alle in der Eingangshalle rosteten. Es hatte verrottende Schweinefüße, die irgendwo im dritten Stock von einer Drahtwäscheleine hingen. Es hatte mehrere verschlossene Türen; ich würde sagen, etwa die Hälfte des Hauses war verschlossen oder so verbarrikadiert, daß der Blick versperrt war. Erst viel später, ein Jahr später, bemerkte ich, daß diese verschlossenen Türen die einzigen Türen waren, die es in der ganzen Villa, drinnen wie draußen, noch gab. Damals war ich zu sehr in Bewunderung versunken, um Einzelheiten an dem Haus wahrzunehmen, das, wie ich wußte, unser Haus war.
In der Sekunde, als wir in die staubige Auffahrt einbogen, waren Robbie und ich uns einig, dieses Haus zu kaufen, und zwar egal wie. Wir stellten Listen von Freunden und Angehörigen zusammen, die sich möglicherweise an einem solchen Projekt beteiligen und unser eigenes pygmäenkleines Kapital bis zu dem für eine solche Schönheit geforderten Preis aufstocken würden. Eine Stunde später fand ich mich in einer nahen Stadt in einem kleinen Büro dabei wieder, wie ich einen Scheck über zwanzig Prozent der Kaufsumme überreichte. Im Austausch erhielt ich ein Stück liniertes Papier mit sehr vielen Namen und Geburtsdaten sowie einer beiläufigen Erwähnung des Erwerbs der Villa Orsola. Es folgte eine lange Verhandlung über die Zahlungsbedingungen für die restliche Kaufsumme. An dieser Stelle ließ meine Konzen
tration stark nach, denn ich kam vor Hunger fast um und war außerstande, mich für die Einzelheiten von Geldern zu interessieren, die ich nicht besaß und von denen ich auch nicht recht wußte, wie ich sie auftreiben sollte. Wir erhielten ein halbes Jahr Frist, um den Rest zu bezahlen, und ich vertraute darauf, daß in den Monaten bis dahin etwas auftauchen würde, um die Schuld zu begleichen.
Ted Hughes, Hofdichter der englischen Krone, hatte mich in die Kunst des Hauskaufs eingewiesen und mir erklärt, ich müsse erst das Haus finden, das ich haben wolle, dann müsse ich es kaufen, und erst später dürfe ich mir Gedanken über die Bezahlung machen. Nach einer Reihe von Probeläufen, die mich zwar nicht in den Bankrott, aber an dessen Rand getrieben hatten, erschien mir diese Strategie für ihren Bereich fast so vernünftig wie das legendäre Parkinsonsche Gesetz. Die Villa Orsola war größer als alles, woran ich mich je getraut hatte, aber schließlich handelte es sich um mein Traumhaus. Der compromesso wurde unterschrieben, die Anzahlung von zwanzig Prozent in Form eines Euroschecks (mit der üblichen theoretischen Beschränkung auf 300 Pfund) überreicht, und wir waren die neuen Besitzer eines unfertigen palazzo.
Das Haus war hohl; es fehlten die einfachsten Dinge wie Fußböden und Türen, Abflußrohre und Wasser. Die Innenausstattung bestand nur aus Worten: den zahlreichen Versionen seiner Geschichte und den Anekdoten rund um seine Vergangenheit. Am ersten Tag hörten wir, die Villa Orsola stamme aus dem
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