Ein Herz voll Liebe
recken, um zu ihm aufzuschauen. Da er anscheinend bemerkte, wie Furcht einflößend er auf ein Kind wirken mochte, ging er in die Hocke, damit er mit Mollie auf Augenhöhe war. Sie legte zögernd ihre Hand in seine Rechte, die sich rau anfühlte.
„Wohnst du hier?” fragte sie mutig.
„Klar. Zumindest in den Sommerferien.”
Sie starrte ihn überrascht an. „Du gehst noch zur Schule?”
Er warf den Kopf zurück und lachte, wobei seine weißen Zähne blitzten. „Scheint so”, gab er zurück. „Ich muss noch ein Jahr studieren. Gehst du schon zur Schule?”
Sie nickte.
„Wie alt bist du?”
„Sieben. Und du?”
„Fast zweiundzwanzig.”
Sie nahm all ihren Mut zusammen. „Du kannst aber gut reiten!”
„Danke, Mollie. Freut mich, dass du das findest.”
Jetzt hatte ihr Vater sie entdeckt.
„Mollie, du hast mich vielleicht erschreckt”, schalt er. „Ich dachte, du spielst mit den Katzen, und dann stelle ich fest, dass du verschwunden bist. Deine Mutter würde mir die Hölle heiß machen, wenn dir etwas zugestoßen wäre. Schließlich bin ich für dich verantwortlich.”
Deke erhob sich und sah ihrem Vater in die Augen. „Alles okay, Mr. O’Brien”, sagte er.
„Wir passen schon auf, dass ihr nichts passiert.”
Die beiden Männer begannen eine Unterhaltung, so dass Mollie in der Lage war, Deke nach Herzenslust zu betrachten. Seine Augen waren unglaublich grün und glitzerten wie Edelsteine. Er war so groß wie ihr Vater und hatte breite Schultern und schmale Hüften.
Einen schönen Mann hätte man ihn nicht nennen können, jedenfalls hatte er nicht die geringste Ähnlichkeit mit Film-oder Fernsehstars, doch Mollie störte das nicht. Ihr war wichtig, dass er sie behandelt hatte wie eine Gleichaltrige. Er hatte ihr die Hand geschüttelt und mit ihr geredet, während alle anderen Männer zurück an die Arbeit gegangen waren, ohne sie zu beachten.
Dieses erste Zusammentreffen hatte sie nie vergessen.
Ihre kindliche Phantasie machte aus Deke etwas ganz Besonderes. Er wurde Teil ihres Lebens. Wenn sie allein war, tat sie so, als sei er anwesend. Dann redete sie mit ihm über die Schule und ihr tägliches Leben.
Mit sieben Jahren war es einfach, sich vorzustellen, dass sie irgendwann erwachsen sein würde und alt genug, Deke zu heiraten, um mit ihm glücklich bis ans Ende aller Tage zu leben.
Als sie zehn Jahre alt war, holte sie die Realität ein. Ihre Eltern starben, und Megan kämpfte wie eine Löwin, um die Familie zusammenzuhalten und die Ranch zu retten. Mollie hatte ihrer Mutter immer bereitwillig im Haushalt geholfen und übernahm nach besten Kräften diesen Teil der Arbeit nun ganz.
Die drei Mädchen hielten eisern zusammen, um mit dem entsetzlichen Verlust fertig zu werden. Alle Kleinmädchenträume verschwanden von einem Tag auf den anderen, und der Held ihrer Phantasien heiratete schließlich eine andere, als sie, Mollie, fünfzehn war. Heute, mit zwanzig, war sie erstaunt, wie sehr die Neuigkeiten, die sie gerade erfahren hatte, sie aufwühlten.
Sicher, sie war Deke im Laufe der Jahre immer wieder einmal begegnet, doch sie hatten nie wieder ein Wort gewechselt. Er würde sie heute auch kaum noch wieder erkennen.
Doch die Erinnerung an ihn war nie ganz verblasst. Grüne Augen und blondes Haar behielten immer eine immense Faszination für sie.
Allerdings nahm sie nicht an, dass er jemals von ihren kindlichen Träumen erfahren würde oder davon, dass sie verrückt genug gewesen war, sich einzubilden, er würde warten, bis sie erwachsen war, um sie zu heiraten.
Seine Frau hatte sie nie kennen gelernt. Patsy kam nicht aus dieser Gegend, und es gab keinen Grund, warum sie sich begegnen sollten, nachdem sie Deke geheiratet hatte.
Während sie die Landstraße entlangfuhr, dachte sie, wie traurig es für Deke sein musste, seine Frau zu verlieren, gerade als er Vater geworden war. Mollie wünschte, sie könnte etwas für ihn tun, aber sie wusste, dass andere das bereits übernommen hatten.
Sie bog in die Zufahrt zur O’Brien-Ranch ein. Nach der Heirat von Megan und Travis Kane hatte sich auf der Ranch einiges geändert, doch der Name war geblieben. Vielleicht deswegen, weil Travis’ Eltern die benachbarte Ranch gehörte und man Verwechslungen vermeiden wollte.
Die O’Brien-Ranch war seit über hundert Jahren in Familienbesitz. Der Ahne Paddy O’Brien hatte sie in einer Nacht auf einem der Mississippi-Raddampfer beim Pokerspiel gewonnen. Glaubte man der Familienlegende, dann
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