Ein Jahr in New York
allmählich, dass sie Recht hatte. Natürlich durchschaute sie ihre Landsmänner besser als ich frisch eingereiste Ausländerin. Deutsche Männer tickten einfach ganz anders. Und amerikanische „Dating Rules“ waren offensichtlich keine Erfindung der Fernsehserie „Sex and the City“. Sie kamen der Realität sehr viel näher, als mir lieb war. Dazu später mehr.
Auch wenn diese Streiflicht-Begegnungen anfangs das perfekte soziale Eingewöhnungsprogramm darstellten, ersetzten Bekannte auf Dauer einfach keine Freunde. Wie sehr mir diese fehlten, wurde anfangs von einem unwillkürlichen Glücksgefühl verdrängt, das mich in Hamburg so willkürlich noch nie überfallen hatte. Ausgelöst durch die simpelsten Dinge. Zum Teil durch unglaublich verbrauchte Klischee-Momente: Als ich an einem Samstagabend zu Fuß die Brooklyn Bridge überquerte und der Sonnenuntergang die Skyline in diese kitschig rosigen und blauen Babytöne tauchte. Oder als ich ganz simpel durch die kleinen Straßen der Lower East Side schlenderte und plötzlich wieder begriff, wo ich mich eigentlich befand. In der Mega-City New York.
Die gefühlte Schönheit der Stadt ist schwer zu erklären und oft irrational überwältigend. Sie hat mit Makellosigkeit und Ästhetik wenig zu tun. Ganz im Gegenteil. Die Stadt hat sichtbar viele Schwachstellen und ist stellenweise verlebt, geflickt und verwachsen. New York ist schrullig, launisch und manchmal ganz schön anstrengend. Aber New York ist trotz allem wunderschön und selbstbewusst. Die New Yorker Sängerin Suzanne Vega hat das einmal sehr schön formuliert: „New York ist wie eine Frau, die nicht immer nett und reizend ist, aber so unglaublich faszinierend, dass man seine Augen nicht von ihr lassen kann.“ Knietiefe Schlaglöcher mitten auf der 2 nd Avenue, marode und von Ratten infiltrierte U-Bahn-Stationen, stinkende Mülltütenberge auf den Gehwegen, immer dröhnender Straßenlärm, der Gestank in Chinatown, die astronomischen Preise – ein echter New Yorker sieht darüber verliebt hinweg. Hauptsache, man ist Teil des dynamischen Ganzen. Musiker, Künstler und Literaten lassen sich schon seit Jahrzehnten von der Stadtinspirieren. An keinem anderen Ort der Welt hätte sich Andy Warhol mit seinen verrückten Ideen so erfolgreich verwirklichen und verewigen können wie hier. Die Beastie Boys haben der Stadt ihre größten Hits zu verdanken. Und was wäre ein Woody Allen oder ein Martin Scorsese ohne die Bühne Manhattan? Hier zu überleben und trotz aller erschwerenden Begleiterscheinungen glücklich zu sein ist wie ein Ritterschlag. Eine Auszeichnung und Qualifikation, die man sich verdienen muss. Das gilt für den mexikanischen Tellerwäscher genauso wie für den hoch qualifizierten Creative Director aus Berlin. Frank Sinatra hat dieses Lebensgefühl mit seinem Gassenhauer „New York, New York“ – „If you can make it there, you’ll make it anywhere ...“ – ziemlich präzise erfasst. Nicht ohne Grund wurde dieser Satz zum meistzitierten Leitmotiv New Yorks.
Was auch immer die anderen hier zu erreichen hoffen, mein einziges Bestreben war zu diesem Zeitpunkt, diese Telefonate hinter mich zu bringen. Wie würde ich wohl reagieren, wenn mich ein Fremder in Hamburg anrufen würde, in der Hoffnung, mit mir auszugehen? War das jemals der Fall gewesen? Ich konnte mich nicht erinnern und hoffte, dass ich niemals jemanden mit einer lahmen Ausrede abgespeist hatte. Das Schicksal hätte jetzt eine hervorragende Gelegenheit, es mir heimzuzahlen.
Ich hatte Glück. Als hätten sie auf meinen Anruf gewartet, schlugen diese potentiellen neuen Freunde ohne Umschweife vor, gemeinsam essen zu gehen. Ich musste nicht mal danach fragen. Sobald ich mich als New Yorker etabliert hatte, das nahm ich mir damals ganz fest vor, würde ich jeden Neuankömmling mit offenen Armen empfangen. Anscheinend war das in dieser Stadt, in der irgendwann jeder einsam und allein aufschlägt, so eine Art sozialeBürgerpflicht. In der folgenden Woche hatte ich gleich drei „Dates“. Vor jedem Treffen war ich nervös wie vor einem Vorstellungsgespräch. Nummer eins: Miriam, Amerikanerin asiatischer Abstammung und Freundin meiner Freundin Ina. Treffpunkt: Gitane. Ein kleines, süßes Café in der Mott Street in Nolita mit marokkanisch angehauchter Küche. Auf einem meiner wochenendlichen Streifzüge war ich hier vorbeigeschlendert und konnte mir schon damals nicht verkneifen, wieder mein am Ende der Insel gelegenes Harlem in
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