Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Kessler
Vom Netzwerk:
übernimmt ihr Pferd. »Wir kümmern uns drum«, sagt sie.
    Einen Augenblick später steigen wir ins Auto. Mikey sitzt zwischen Juli und mir, und Dad lässt den Motor an.
    Mikey ist ganz bleich geworden. Er sieht gar nicht mehr gut aus. Er sieht eher aus wie ein sehr verängstigter kleiner Junge.
    Juli drückt seine Hand. »Keine Angst, Bruderherz«, sagt sie. »Du kommst wieder in Ordnung. Alles wird gut. Wir lassen dich nur gründlich untersuchen.«
    Ich möchte auch etwas Tröstliches sagen, aber mir fehlen die Worte. Ich kann nur eines denken: Kommt er wirklich wieder in Ordnung? Wird wirklich alles wieder gut? Können wir rechtzeitig einen Arzt erreichen, um die Zukunft zu verhindern, die ich bereits gesehen habe? Die Zukunft, in der sich Mikey nie mehr von diesem Unfall erholt? Oder ist es uns allen beschieden, die ganze Sache genauso durchzumachen, egal, wie oft ich die Zeit zurückzudrehen versuche, um alles zu ändern?
    Dad sieht mich im Rückspiegel an und wirft mir einen fragenden Blick zu. Woher hast du das gewusst? , scheint er zu fragen. Warum warst du so sicher, dass ich hierherkommen muss?
    Ich habe keine Antwort – wenigstens keine, die er glauben würde –, daher wende ich den Blick ab, ehe er laut fragen kann, und ich mir irgendetwas ausdenken muss. Ich sehe Juli an. »Alles wird gut«, sage ich. »Egal, was mit Mikey passiert. Ich werde dich nie im Stich lassen. Ich tue alles für dich – ich stehe zu dir. Daran musst du immer denken. Wir werden immer beste Freundinnen sein, einverstanden?«
    Juli sieht mich verwundert an. »Das weiß ich doch«, sagt sie nur und versucht zu lächeln. Und dann starre ich wieder mit einem einzigen Gedanken aus dem Fenster: Bitte lass es ihn schaffen. Das sage ich immer wieder vor mich hin und kaue so heftig an den Nägeln, bis die rohe Haut sichtbar wird.
    Bitte, bitte, lass es ihn schaffen.

    Ich sitze im Warteraum des Krankenhauses auf einem Plastikstuhl und halte Julis Hand. Auf meiner anderen Seite sitzt Mum, und auf Julis anderer Seite sitzt Mrs Leonard. Unsere Väter wandern im Gang auf und ab. Craig sitzt auf dem Boden und spielt mit seinen Autos.
    Mikey ist mit ein paar Ärzten in einem Untersuchungsraum, wo sein Kopf irgendwie durchleuchtet wird.
    Keiner sagt etwas. Es ist, als ob alle Geräusche aus der Welt gesaugt worden sind, zusammen mit allen Farben und jeglicher Freude. Es bleibt nur das Warten. Und die Frage, die in meinem Kopf kreist: Sind wir noch rechtzeitig gekommen?
    »Tom!« Mum durchbricht die Stille. Dad und Mr Leonard drehen sich beide nach ihr um. Sie deutet den Gang entlang. »Da kommt einer von den Ärzten.«
    Endlich.
    Dad und Mr Leonard kehren rasch zu uns zurück, während der Arzt zu uns tritt und sich auch einen Stuhl heranzieht. Er setzt sich; kein gutes Zeichen, oder?
    »Gehören Sie alle zur Familie?«, fragt er.
    Mum setzt an, um etwas zu sagen, doch Mr Leonard kommt ihr zuvor. »Ja«, sagt er bestimmt. »Doktor Wilson, sagen Sie uns schnell, wie es Mikey geht.« Er greift nach Mrs Leonards Hand. »Bitte.«
    Der Arzt holt Luft. »Mikeys Kopf hat einen schlimmen Schlag bekommen«, sagt er. »Auf dem CT kann man erkennen, dass er sich dabei etwas zugezogen hat, das man extradurales Hämatom nennt. Das ist eine Blutung im Kopf.«
    Mrs Leonard stößt einen erstickten Laut aus. Mum schlägt sich die Hand über den Mund. Ich schließe die Augen. Nicht, dass ich wüsste, wie das helfen soll. Wenn ich die Ohren schließen könnte, würde ich das auch tun. Alles nur Mögliche, um nicht mitbekommen zu müssen, was er gleich sagt.
    Der Doktor redet weiter. »Er wird schon behandelt«, sagt er. »Sobald wir operiert haben, können wir die Situation besser beurteilen. Aber ich kann Sie beruhigen, dass wir, außer im Fall von unvorhergesehenen Umständen, mit ziemlicher Sicherheit von einer vollständigen Wiederherstellung ausgehen können.«
    »Mit einer was ?«, rufe ich. Hat er gerade gesagt, was ich zu verstehen glaube? Das kann doch nicht sein. Ich muss mich verhört haben. Ich muss sicher sein. »Können Sie das noch mal sagen?«
    Der Arzt dreht sich zu mir und lächelt. Dabei frage ich mich unwillkürlich, ob es wohl genau derselbe Arzt ist, der in der anderen Version mit Juli und ihren Eltern geredet hat. Haben sie auch auf diesen Stühlen gesessen? Hat er da auch gelächelt?
    »Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Mikey gesund wird«, sagt er. »Er wird eine Woche oder so etwas Kopfschmerzen haben und kann seinen

Weitere Kostenlose Bücher