Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
Bett und fängt an, seine Sachen herauszuzerren.
Ungefähr dreißig Sekunden später sind sein Bett und der halbe Fußboden total begraben unter einem Berg Klamotten, einem kleinen Haufen Legosteine, fünf Tüten Süßigkeiten, drei Paar schmutzigen Turnschuhen und ungefähr fünfzig Modellautos, Bussen und Treckern.
»Fertig!«, sagt er, schiebt seinen Rucksack unters Bett und verschränkt die Arme.
»Fertig?«, sage ich. »Fertig mit was?«
»Auspacken«, erwidert er nur. Er greift sich eine Handvoll Legosteine und geht zur Tür.
Als er raus ist, betrachte ich den Bombenkrater, den er hinterlassen hat, und hole tief Luft.
Wie schon gesagt, ich kann es nicht leiden , mit Craig das Zimmer zu teilen.
Ich glaube, dass ich ziemlich reif für mein Alter bin. Behaupten zumindest alle. »Zwölf, mit großen Schritten auf zwanzig zu«, sagt mein Vater immer. Ich bin die Älteste in meiner Klasse und das älteste Kind in unserer Familie. Manchmal nervt es, immer die Älteste und die Vernünftige sein zu müssen – aber so ist es eben.
Vom Flur her höre ich es trampeln – wumm, wumm, wumm –, und Craig taucht wieder im Zimmer auf.
Er schnappt sich noch ein paar Legosteine, dann durchwühlt er verschiedene Jeanstaschen, bis er eine Tüte mit Süßigkeiten findet, die schon wer weiß wie viele Äonen von Jahren alt ist. Er zieht ein Zitronenbonbon heraus und reicht es mir. Ich starre es an und überlege, was dieses Bonbon wohl schon alles hinter sich hat, während er sich einen Lutscher auspackt.
»Was macht Ha, ha, plätscher ?«, liest er von dem Einwickelpapier ab.
»Weiß ich doch nicht«, sage ich.
»Jemand, der sich vor Lachen ausschüttet.«
Er verstummt und überlegt, was der Witz bedeutet. Eine Sekunde später lässt er sich vornüber auf sein Bett fallen und bricht in sein unvergleichliches halbersticktes, halb hyänenhaftes Gewieher aus, über das ich lächeln muss, auch wenn ich genervt bin.
So ist das mit Craig. Er ist der einzige Mensch, der es schafft, mich so auf die Palme zu bringen, dass ich schreien könnte, aber dann kann er mich auch wieder so zum Lachen bringen, dass mir die Tränen kommen. Die einzige andere Person, die das kann, ist Juli. Sie ist die lustigste Person der Welt und auch die klügste und schlaueste und überhaupt die tollste! Und sie ist meine beste Freundin!
Dad steckt den Kopf zur Tür herein. »Kleiner Spaziergang, Jenny-Bär?«
»Ja, warum nicht?«, antworte ich, auch wenn ich mich ein bisschen über den Spitznamen ärgere, den er mir verpasst hat, als ich ungefähr drei war. Ich bringe es nicht übers Herz, ihn zu bitten, mich nicht mehr so zu nennen. Das würde ihn nur verletzen – da ertrage ich doch lieber diesen Babynamen.
Ich werfe meine letzten Sachen in eine Schublade und stecke meinen Rucksack in den Schrank. Auf dem Weg nach unten binde ich meine Haare mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie machen mich zurzeit verrückt. Wenn ich sie nicht zurückbinde, fallen sie mir in kringeligen Locken über das ganze Gesicht.
»Willst uns wohl mal wieder deine wunderbaren Locken vorenthalten?«, sagt Dad augenzwinkernd, als ich zu ihm und Mum ins Wohnzimmer trete. Wenn es nach ihnen ginge, würde ich meine Haare bis zu den Knien wachsen lassen. Aber ich bin wild entschlossen, sie abzuschneiden, sobald ich meine Eltern überzeugt habe, dass das nicht das Ende der Welt bedeutet. Sie haben Angst, dass es der Anfang von allen möglichen unguten Entwicklungen werden könnte. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass ein neuer Haarschnitt nicht automatisch gleichbedeutend ist mit zwei Zentimeter dickem Make-up, unzähligen Piercings und einem Tattoo auf dem Nacken, aber irgendwie sind sie schwer von Begriff. Also lächle ich nur und ziehe mein Gummi heimlich noch etwas fester.
Craig liegt ausgestreckt im Wohnzimmer auf dem Boden und baut einen kompliziert aussehenden Roboter aus seinen Legosteinen. Mum hat sich mit einer Tasse Tee und einer Zeitschrift auf das Sofa gelegt.
»Ruh dich aus«, sagt Dad, beugt sich über sie, gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und tätschelt ihren Acht-Monats-Bauch.
Er fährt Craig im Vorübergehen durch die Haare. »Bis später, Kleiner«, sagt er. Craig sieht nicht mal auf. Die Zungenspitze im Mundwinkel, hat er nur noch Augen für seinen Roboter.
Auf dem Kiesweg nimmt Dad meine Hand. Ich bremse mich und ziehe sie nicht weg und halte ihm auch nicht vor, dass ich keine fünf mehr bin. Stattdessen gehe ich eine Minute
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