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Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Ein Jahr ohne Juli (German Edition)

Titel: Ein Jahr ohne Juli (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Kessler
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selbst zurückreiten lassen. Aber es geht mir gut, ehrlich. Hab mir nur ein bisschen den Kopf angeschlagen.«
    Als ich bei Carol und Mikey ankomme, schaut Dad herüber und lächelt. »Hallo, Süße, habt ihr Spaß?«
    Spaß? Ob wir Spaß haben? Ich sehe zu Mikey hinüber. Plötzlich begreife ich, dass die Dinge nicht so stehen, wie sie aussehen. Was hat Juli doch noch erzählt, vorhin – drei Jahre weiter? Die Worte des Arztes: dass sich die Blutung zu weit ausgebreitet hätte, um zu operieren, weil man ihn nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht hatte. Dass selbst eine Stunde entscheidend hätte sein können. Und Juli hatte sich gewünscht, Mikey nicht geglaubt zu haben, als er sagte, dass es ihm gutginge.
    Mit einem eiskalten Schauer, der meinen ganzen Körper zittern lässt, erkenne ich, dass ich gar nichts verändert habe – noch nicht. Aber vielleicht ist ja noch Zeit.
    »Dad, du musst Mikey ins Krankenhaus bringen«, sage ich. Meine Stimme krächzt vor Angst.
    Mikey stößt einen Seufzer aus. »Bitte, könnt ihr endlich aufhören, so ein Theater zu machen. Es geht mir gut .«
    »Wir bringen ihn erst mal zum Reitstall zurück und sehen dann, wie es ihm geht«, sagt Carol. »Hier bei mir ist er sicher. In einer Stunde sind wir zurück.«
    In einer Stunde erst im Reitstall? Das dauert zu lange! Was kann ich machen? Sie müssen auf mich hören!
    »Dad! Bitte. Er muss sofort ins Krankenhaus!«, sage ich. Meine Angst hat sich inzwischen in Panik verwandelt. Sie brennt mir im Hals wie Feuer. »Hör nicht auf Mikey. Es geht ihm schlechter, als er glaubt. Wenn wir ihn erst in den Reitstall bringen, ist es zu spät!«
    Dad sieht mich mit befremdetem Blick an. Als ob er mich nicht versteht oder mich nicht erkennt oder so etwas. Kein Wunder. Hier stehe ich, Jenny Green, das stille Mädchen, das nie Theater macht, und teile auf einmal Befehle aus.
    » Bitte , Dad«, sage ich. »Ich bitte dich nicht oft um etwas – aber ich bitte dich jetzt. Bitte hör auf mich. Er muss ins Krankenhaus. Sofort!«
    Wieder sieht Dad mich an, dann Mikey. Dann nickt er. »In Ordnung, einen Moment«, sagt er zu mir. »Warten Sie mal kurz«, ruft er Carol nach.
    Carol dreht sich im Sattel um.
    »Kann ich nur mal kurz mit Mikey reden?«, fragt er. Ehe Carol antworten kann, setzt er hinzu: »Ich habe einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht.«
    Sie wendet das Pferd in Dads Richtung, und er lächelt Mikey an. »Okay, kleiner Mann, lass mich mal deinen Kopf anschauen.« Mikey dreht den Kopf, damit Dad ihn sich ansehen kann. Er hat eine Beule, die so groß ist wie ein Golfball. Ich schlage mir die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Ich will Mikey keine Angst machen. Dad stößt scharf die Luft aus. »Das ist eine ganz schön dicke Beule, die du da hast, Junge«, sagt er.
    Mikey erwidert nichts.
    »Mikey, ist dir vielleicht ein bisschen schlecht?«
    »Nein, hab ich doch schon gesagt. Es geht mir gut.«
    »Hast du Nasenbluten gehabt?«
    »Nö.«
    »Tut dir der Nacken weh?«
    Mikey schweigt.
    »Mikey, hast du Schmerzen im Nacken?«
    Mikey nickt. »Ja. Warum? Was bedeutet das? Ich hab ihn mir halt bei dem Sturz ein bisschen geprellt.«
    »Ja, so wird es sein«, sagt Dad ruhig. »Ich will nur sichergehen. Gut, kannst du mir sagen, wo du bist, Mikey?«
    Mikey lacht. »Auf einem Pferd«, sagt er, als ob er eine dumme Frage beantworten muss.
    »Und wo macht ihr Ferien?«, bohrt Dad weiter.
    Mikey starrt ihn an. Wir anderen warten atemlos. Mikey ist rot geworden. »Wir sind in … wir sind in … mir fällt gerade nicht ein, wie es heißt«, sagt er schließlich.
    Dad streckt zwei Finger in die Luft. »Wie viele Finger halte ich hoch?«
    Mikey sieht mit zusammengekniffenen Augen auf Dads Hand. »Ähm … ich kann nicht … Warten Sie mal, halten Sie die Hand mal still. Sie wackeln ja so.«
    Dad hält die Hand total still.
    »Kannst du sagen, wie viele Finger, Mikey?« Mikey starrt Dads Hand an. Vor Konzentration kneift er die Lippen zusammen.
    »Drei? Vier?«, sagt er schließlich.
    Dad tritt nahe an das Pferd und streckt die Arme nach Mikey aus. »Das reicht«, sagt er. »Ich bringe ihn ins Krankenhaus.«
    Plötzlich geht alles ganz schnell. Dad hebt Mikey vom Pferd. Carol ist auch abgesprungen. Die Atmosphäre fühlt sich so aufgeladen an, als hätte uns alle ein Stromstoß getroffen.
    »Juli, Jenny, ins Auto. Kann jemand eure Pferde mitnehmen?«
    Carol ergreift die Zügel von Angus, und ich steige ab. Sue reitet neben Juli heran und

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