Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kapitän von 15 Jahren

Ein Kapitän von 15 Jahren

Titel: Ein Kapitän von 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Seegras, das auf-und abwogend dahinfließt, ein Sargassozweig, der hinter sich einen leichten Streifen auf den Wellen zieht, ein Stück Planke, dessen Geschichte man ergründen möchte – etwas Weiteren bedarf man ja nicht. Gegenüber dieser Unendlichkeit wird der Geist durch nichts Anderes abgelenkt. Die Phantasie entfaltet ihre Flügel ungehindert. Jedes dieser Wassermoleküle, das die Verdunstung immer wieder zwischen Himmel und Meer austauscht, birgt vielleicht das Geheimniß irgend welcher Katastrophe! Muß man nicht jene bevorzugten Geister beneiden, denen es vergönnt ist, die Geheimnisse des Oceans zu durchdringen und sich von der bewegten Fläche hinauf bis in die heitern Höhen des Himmels zu erheben?
    Ueber und unter den Meeren, immer zeigt sich das Leben überall. Die Passagiere des »Pilgrim« sahen oft ganze Schaaren von Vögeln, die dem rauhen Winter der Polargegenden entflohen, in hitziger Verfolgung kleiner und kleinster Fische, und mehrmals gab Dick Sand, hierin wie in so manchem Anderen der gelehrige Schüler Mrs. Weldon’s, Beweise seiner Geschicklichkeit mit der Flinte oder der Pistole, indem er einige dieser flüchtigen Zugvögel erlegte.
    Hier schwärmten weiße Sturmvögel, dort andere Arten derselben Familie mit braun geränderten Fittigen. Manchmal zogen auch ganze Heerden von Captauben vorüber oder Gesellschaften von Pinguins, deren Fortbewegung am Lande ebenso schwerfällig als lächerlich ist. Auf dem Wasser aber bedienen sich diese Pinguins, wie Kapitän Hull erzählte, ihrer kurzen Füße ganz wie Schwimmvögel und übertreffen auch die flinksten Fische an Schnelligkeit, so daß selbst Seeleute sie nicht selten mit Breitfischen verwechselt haben.
    Höher oben schwebten riesige Albatros mit einer Flügelspannweite von ca. 3 Meter und setzten sich dann auf die Oberfläche des Wassers, in welches sie mit dem Schnabel einhieben, um sich Nahrung zu suchen.
    Solche Scenen gewährten ein ewig wechselndes Schauspiel, welches nur solche Leute monoton finden konnten, denen aller Genuß an den Reizen der Natur versagt ist.
    Am erwähnten Tage ging Mrs. Weldon eben auf dem Hinterdeck des »Pilgrim« spazieren, als eine merkwürdige Erscheinung ihre Aufmerksamkeit erregte. Das Wasser des Meeres war nämlich fast augenblicklich ganz roth geworden. Man hätte glauben können, es sei von Blut gefärbt gewesen, und diese unerklärliche Färbung reichte auch so weit das Auge trug.
    Dick Sand befand sich mit dem kleinen Jack in ihrer Nähe.
    »Siehst Du, Dick, sagte sie zu dem jungen Leichtmatrosen, diese sonderbare Farbe des Meerwassers? Rührt sie wohl von irgend einer Seepflanze her?
    – Nein, Mistreß Weldon, erwiderte Dick Sand, diese Färbung entsteht durch unzählbare Myriaden kleiner Crustaceen, welche den großen Seesäugethieren zur Nahrung dienen. Die Fischer nennen das nicht mit Unrecht das »Walfischfutter«.
    – Crustaceen! rief Mrs. Weldon verwundert. Aber sie sind so klein, daß man sie die Insecten des Meeres nennen sollte. Vetter Benedict dürfte sehr entzückt sein, sich einen Vorrath derselben einzusammeln.«
    Sie wendete sich um.
    »Vetter Benedict!« rief sie.
    Der Gerufene erschien fast gleichzeitig mit Kapitän Hull auf dem Verdeck.
    »Vetter Benedict, begann Mrs. Weldon, sieh nur diese ungeheure rothe Fläche, die sich bis über Seeweite hinaus ausdehnt.
    – Alle Wetter, rief Kapitän Hull, das ist Walfischfutter! Eine schöne Gelegenheit, Herr Benedict, diese merkwürdige Art von Crustaceen zu studiren.
    – Pah, machte der Entomolog.
    – Nun, warum Pah? rief der Kapitän. Sie haben kaum das Recht, eine solche Gleichgiltigkeit zu zeigen. Diese Crustaceen bilden eine der besonderen Classen der Gliederthiere, wenn ich nicht irre, und als solche…
    – Pah, wiederholte Vetter Benedict kopfschüttelnd.
    – Wahrhaftig, ich finde, daß Sie diese Sache als Entomolog sehr geringschätzig behandeln.
    – Bezüglich eines Entomologen hätten Sie wohl recht, erwiderte Vetter Benedict, ich bin aber specieller nur Hexapodist, das wollen Sie gefälligst nicht vergessen, Herr Kapitän.
    – Nun, es mag sein, fuhr Kapitän Hull fort, daß diese Crustaceen Sie nicht besonders interessiren; anders wäre es freilich, wenn Sie einen Walfischmagen hätten! Welch’ leckere Mahlzeit! – Sehen Sie, Mistreß Weldon, sobald wir Walfischfänger während der Fischzeit auf solch’ einen Zug dieser Crustaceen stoßen, gilt er für uns als Signal, die Harpunen und Leinen parat zu halten; wir sind

Weitere Kostenlose Bücher