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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Alice
    A lice fand, dass es Zeit für eine Pause vom Packen war. Sie zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich in einem der Korbsessel zurück, die von der Meeresluft immer ein wenig feucht waren. Dann blickte sie sich im Zimmer um und sah die vielen Kartons, in denen sie die Familienhabseligkeiten verstaut hatte. Gläser, Salzstreuer und Bilderrahmen – alles sorgfältig verpackt. In jedem Zimmer standen ein paar Kisten, die noch vor der Ankunft der Kinder zum Goodwill Sozialladen mussten. Sie hatten die Sommer von sechs Jahrzehnten hier verbracht, und Alice staunte, wie viel sich über die Jahre hinweg angesammelt hatte. Mit diesem Durcheinander wollte sie niemanden belasten, wenn sie einmal nicht mehr war.
    Am Himmel hingen dicke Wolken. Bald würde es regnen. In Cape Neddick in Maine gewitterte es in diesem Mai fast jeden Nachmittag. Ihr war das egal. Sie ging sowieso nicht mehr zum Strand hinunter. Nach dem Mittagessen setzte sie sich normalerweise mit einem Glas Rotwein auf die Veranda, las stundenlang Romane, die ihr ihre Schwiegertochter Ann Marie im Winter geliehen hatte, und sah die Wellen gegen die Felsen schlagen, bis es Zeit war, das Abendessen vorzubereiten. Sie hatte nicht mehr das Bedürfnis, sich einen Badeanzug anzuziehen, ins Wasser zu springen und im Sand ihre Pediküre zu ruinieren. Stattdessen zog sie es vor, die Szenerie aus der Ferne zu beobachten und wie einen Geist durch sich hindurchziehen zu lassen.
    Ihr Alltag in Cape Neddick folgte einer bestimmten Routine. Spätestens um sechs Uhr stand sie auf, um die anstehenden Haus- und Gartenarbeiten zu verrichten. Dann machte sie sich einen Tee und legte den Beutel auf ein Schälchen im Kühlschrank, um sich damit vor dem Mittagessen eine zweite Tasse zu brühen. Um Punkt neun Uhr dreißig stieg sie in den Wagen und fuhr zur Zehn-Uhr-Messe in St. Michael.
    Die Gegend hatte sich in den vielen Jahren seit ihrem ersten Sommer in Maine sehr verändert. An der Küste waren riesige Häuser aus dem Boden geschossen, und in den Ortschaften gab es an jeder Ecke elegante Restaurants, Souvenir- und Feinkostläden. Die Fischer waren noch da, aber in den siebziger Jahren hatten sich viele auf Tourismus umgestellt und boten jetzt Walbeobachtung, Vergnügungsfahrten mit Frühstücksbuffet und dergleichen an.
    Aber manches war beim Alten geblieben. In Rubys Gemischtwarenladen und in der Apotheke gingen noch immer um sechs Uhr die Lichter aus. Alice ließ nach wie vor den Autoschlüssel stecken, und auch das Haus schloss sie nicht ab – das tat hier niemand. Der Strand war noch unberührt, und die großen, den Weg zur Kirche säumenden Pinien, sahen aus, als stünden sie dort seit Jahrhunderten.
    Auch die Kirche war eine Konstante. St. Michael war eine altmodische, steinerne Dorfkapelle mit rotsamtenen Kniebänken und Buntglasfenstern, deren Farben in der Morgensonne strahlten. Sie stand auf dem Hügel hinter der Shore Road Küstenstraße, damit die Seefahrer ihr Kirchturmkreuz vom Meer aus sehen konnten.
    Alices Platz war in der dritten Reihe links. Sie versuchte, sich die besten Teile von Pfarrer Donnellys Predigten für diejenigen Kinder oder Enkel zu merken, die sie besonders nötig hatten. Leider hörten sie ihr meistens gar nicht zu. Alice folgte den Predigten aufmerksam, sang die vertrauten Kirchenlieder mit und sprach Gebete, die sie seit ihrer Kindheit kannte. Sie schloss die Augen und bat Gott um Dinge, um die sie ihn schon als Kind gebeten hatte: Er möge ihr helfen, ein guter Mensch zu sein und ein besserer zu werden. Meistens glaubte sie, dass Er sie hörte.
    Montags, mittwochs und freitags kam die Legion Mariens von St. Michael nach der Messe im Gemeinderaum der Kirche zusammen, um den Rosenkranz für erkrankte Gemeindemitglieder, die Hungrigen und Bedürftigen der Welt und für die Heiligkeit des Lebens in all seinen Phasen zu beten. Sie sprachen das Ave Maria, tranken Koffeinfreien und plauderten. Mary Fallon erinnerte daran, wer in der Folgewoche an der Reihe war, für Gebäck zu sorgen und wer Pfarrer Donnelly bei seinen wöchentlichen Hausbesuchen bei gebrechlichen Gemeindemitgliedern begleiten würde, wo er für eine baldige Genesung betete, die doch nie eintrat. Obwohl es ihr naheging, Männer und Frauen ihres Alters sterben zu sehen, schätzte Alice die Nachmittage mit dem Priester. Er brachte seinen Schützlingen so viel Trost. Pfarrer Donnelly war ein junger Mann, erst vierunddreißig, mit dunklem Haar und einem warmen Lächeln, das

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