Ein Kuss Vor Mitternacht - Historical Gold Bd 221
kokett ihren gerüschten Sonnenschirm.
Der Viscount ritt weiterhin neben der offenen Kutsche her, man unterhielt sich über die bevorstehende Kirchenbesichtigung und andere Dinge. Constance war es letztlich einerlei, worüber sie sprachen, sie freute sich nur darüber, in Lord Leightons Nähe zu sein. Selbst die Anwesenheit von Tante und Cousine erschien ihr durch seine Gegenwart erträglicher.
Mehr als einmal drehte Muriel Rutherford sich mit frostiger Miene im Sattel um. Sie störte sich offensichtlich erheblich daran, dass Lord Leighton nicht an ihrer Seite ritt. Constance hatte den deutlichen Eindruck, dass Miss Rutherfords Abneigung gegen sie von Stunde zu Stunde wuchs. Aber vielleicht irrte sie sich auch, und Muriel sah in jeder anderen Frau eine Gegnerin.
Als die Kutsche schließlich auf einer schmalen Steinbrücke anhielt, damit die Damen den Blick einen plätschernden Bachlauf entlang in das weite Land genießen konnten, zügelte Miss Rutherford ihr Pferd, machte kehrt und trabte zum Landauer zurück.
„Ist etwas nicht in Ordnung?“ Ihre Frage war an Constance gerichtet. „Möchten Sie lieber umkehren?“
In der Gewissheit, dass Muriel sich nichts sehnlicher wünschte, empfand Constance eine gewisse Genugtuung dabei, ihre Hoffnung zu zerstören. „Nein, wir hielten nur an, um die Aussicht zu genießen. Ist es nicht wunderschön hier?“
Muriel musterte Constance hochnäsig, bevor sie einen gleichgültigen Blick über das Wasser warf, dessen Ufer von Trauerweiden gesäumt waren.
„Mag sein.“ Sie wandte sich an Lord Leighton. „Ich staune, dass Sie zurückbleiben, Dominic. Ist Arion verletzt?“
„Nein, er ist gesund wie eh und je“, antwortete der Viscount leichthin und tätschelte den Hals seines Pferdes.
„Er muss doch darunter leiden, ständig im Schritt gehen zu müssen“, bemerkte Muriel mit verächtlich herabgezogenen Mundwinkeln.
Dominic runzelte fragend die Stirn. „Wollen Sie etwa meinen Umgang mit meinem Pferd kritisieren, Muriel?“
Zu Constances Erstaunen geriet Miss Rutherford aus der Fassung und errötete verlegen. „Gütiger Himmel, nein. Natürlich nicht. Alle Welt weiß doch, dass Sie reiten wie ein Zentaur. Ich wundere mich nur, dass Sie … ihn so zurücknehmen.“
„Ich wollte mich lediglich mit den reizenden Damen unterhalten“, entgegnete Lord Leighton. „Vielleicht wollen Sie sich zu uns gesellen.“
Muriel Rutherford betrachtete den Wagen, und Constance hatte den Verdacht, dass sie es als Zumutung empfand, neben einem Landauer herreiten zu müssen. Doch nach kurzem inneren Kampf schenkte sie Lord Leighton ein säuerliches Lächeln und sagte: „Gewiss. Warum nicht?“
Der Rest der Fahrt verlief entschieden weniger erfreulich, denn Muriel tat ihr Bestes, den Viscount in ein Gespräch zu verwicklen über Leute, Orte und Ereignisse, die den anderen fremd waren. Obgleich Dominic immer wieder den Versuch machte, die kleine Damengesellschaft im Landauer einzubeziehen, schaffte Miss Rutherford es postwendend, ein anderes Thema anzuschneiden, bei dem der Rest nicht mitreden konnte. Damit wollte sie offenkundig vor allem Constance demonstrieren, dass Lord Leighton und sie eng befreundet waren und einem erlauchten Kreis angehörten, zu dem andere keinen Zugang hatten.
Gottlob dauerte die Fahrt nicht mehr lange, bald holperte der Wagen durch das verschlafene Dorf Cowden. Über den Baumwipfeln wurde der quadratische Wehrturm der Kirche sichtbar, und bald darauf hielt der Wagen vor einem überdachten Tor, das in den Friedhof und zur Kirche führte.
Die Reiter waren bereits abgestiegen, hatten die Pferde zwei Stallburschen, die die Ausflügler begleiteten, übergeben und standen in Grüppchen im Schatten der Bäume vor der Kirche.
Lord Leighton schwang sich aus dem Sattel und half den Damen beim Aussteigen. Als sie die Reitergruppe erreichten, hatte sich bereits der Pfarrer im schwarzen Habit dazugesellt, ein weißhaariger, beleibter Herr mit einem überaus freundlichen Lächeln im runden rosigen Gesicht.
„Meine Damen und Herren, liebe Kirchengemeinde, ich heiße Sie herzlich zu einem Rundgang durch unsere schöne Kirche willkommen, die dem heiligen Edmund geweiht ist“, begrüßte er die Gäste liebenswürdig und wippte dabei auf den Fußsohlen auf und ab. „Es geschieht nicht alle Tage, dass sich so viele vortreffliche Besucher für meine Kirche interessieren. Lord Leighton.“ Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Viscount, und sein Lächeln strahlte noch
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